Wohnen an Bord, auf dem Wasser – Jahrzehntelang war das vor allem in unseren Nachbarländern (Frankreich, Niederlande, England) normal, nun spricht sich auch bei uns herum wie schön das sein kann. Vor allem auf einem historischen, fahrbereiten Schiff. Von Detlef Jens
Es begann im Canal du Midi. Damals lebten wir noch auf einer 10,5-Meter Segelyacht, aber für die schönste Abkürzung Europas, vom Mittelmeer zum Atlantik, hatten wir den Mast gelegt und unsere seegehende Yacht vorübergehend in ein Binnenschiff verwandelt. Unter Maschine tuckerten wir bei Agde in den Kanal und waren sofort verzaubert. Die wunderbare Landschaft. Der Duft von Wiesen, Blumen und Bäumen. Die Weinfelder und, viel wichtiger, Weingüter, vor denen wir festmachen und die köstlichen Tropfen probieren konnten. Die fantastischen Restaurants am Ufer. Und über allem die heiße, südfranzösische Sonne.
„Häuser sind nichts als minderwertige Boote die so fest aufgelaufen sind, dass man gar nicht daran denken kann, sie noch zu bewegen. Es sind definitiv untergeordnete Dinge, die zur Welt des Gemüse, nicht jedoch zu derjenigen der Tiere gehören: Verwurzelt und stagnierend, unfähig zur fröhlichen, unbeschwerten Veränderung. Das Bedürfnis ein Haus zu bauen ist der müde Wunsch eines alten Mannes, der sich fortan mit einem einzigen Ankerplatz begnügen will. Das Bedürfnis ein Boot zu bauen ist das drängende Begehren der Jugend, die sich noch nicht mit der Idee eines endgültigen Ruheplatzes abzufinden vermag.“
(Arthur Ransome in „Racundra’s First Cruise“, zuerst erschienen 1923)
Romantik pur: Wohnen an Bord
Und dann waren da noch die bunten, fantasievoll zum Wohnen ausgebauten Binnenschiffe. Fast überall entlang des Kanals lagen sie, in feinster Wohnlage, mit ihren Sonnendecks, Terrassen und immer dem unverbaubaren Wasserblick. Neidvoll betrachteten wir diese großen Schiffe mit ihren komfortablen Wohnungen in ehemaligen Laderäumen – und wurden uns bewusst, wie winzig klein und eng unser schwimmendes Domizil im Vergleich dazu doch war.
Jahrelang schon hatten wir auf diesem treuen Segelschiff gelebt und hätten theoretisch in jede Ecke der Welt damit segeln können, solange es dort nur genug Wasser gibt. Jetzt allerdings waren wir auf dem Weg zurück. Zurück nach Nordeuropa und in einen Lebensstil, an den wir uns erst wieder würden gewöhnen müssen. Aber an Land wohnen wollten wir nicht. Halbwegs sesshaft werden schon und neue Perspektiven haben, aber Liveaboards gehören selbst dann aufs Wasser. Und sofern wir uns nicht mehr in südlichen Breitengraden damit herumtrieben, war unser Segelboot auf die Dauer zu klein zum bewohnen. Die Lösung wurde uns hier und an vielen anderen Orten in Frankreich, England und den Niederlanden ebenso anschaulich wie inspirierend vor Augen geführt.
Ein autarkes, fahrendes Wohnschiff
Ein Wohnschiff musste her. Kein Hausboot, solch ein all zu oft hässliches, immobiles und hausähnliches Gebilde auf einem fest verankerten Ponton, sondern ein richtiges Schiff. Stark und autark, mit dem wir die vielfältigen europäischen Binnen- und Küstengewässer würden befahren können, und auf dem wir gleichzeitig wohnen würden. Mit allem Komfort einer Wohnung oder eines Hauses an Land: Zentralheizung, Badezimmer, Strom für die Waschmaschine und andere Haushaltsgeräte. Aber eben auch mit diesem ganz speziellen Ambiente, wie man es nur an Bord eines Schiffes haben kann.
Damit begannen die Suche nach einem geeigneten Schiff – und eine steile Lernkurve. Vor dem Schiff kam erst einmal der Liegeplatz. Denn die sind knapp, selbst im Mutterland der Wohnschiffkultur. Ein niederländischer Makler fragte uns rundheraus: „Haben Sie denn einen dauerhaften Liegeplatz?“, bevor er uns überhaupt geeignete Schiffe zeigte. Selbst in den Niederlanden werden nur noch wenige neue Plätze als Dauerliegestellen zum offiziellen Wohnen ausgewiesen und bei uns in Deutschland bewegen wir uns in dieser Hinsicht sowieso in einer Grauzone. Offizielles Wohnen an Bord ist hier oft verboten, wie zum Beispiel im Hamburger Hafen, erlaubt wird es dagegen in vielen privaten Häfen und Anlagen.
Bei der Suche nach einem Liegeplatz hilft es, wenn das Schiff nicht zu groß ist (mehr dazu unten), und wenn es gut aussieht. Schiffe mit einem möglichst original erhaltenem Äußeren, also einem eher musealen Charakter werden oft gerne gesehen, wo Hausboote mit monströsen und hässlichen Aufbauten nicht bleiben dürfen. In den Niederlanden liegen offiziell anerkannte Museumsschiffe in vielen kommunalen Museumshäfen in den Stadtzentren sogar ganz umsonst, eben weil sie eine Bereicherung des Stadtbildes sind. Das jedoch gilt wahrhaftig nicht für jedes Wohnschiff.
Von denen gibt es eine verwirrende Vielfalt an Arten und Typen. Wir konzentrierten uns auf ehemalige Frachtschiffe, die entweder Ende des 19. oder Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut worden waren. Und kreisten nach weiteren Recherchen die Maße ein. Viele Schiffe um die 30 oder mehr Meter Länge und mit mehr als fünf Metern Breite werden verlockend günstig angeboten, während kleinere Schiffe mit entsprechend weniger Wohnraum wesentlich teurer sind. Doch wer, wie wir, irgendwann auch die idyllischen Kanäle Frankreichs befahren möchte, dessen Schiff darf eben nicht breiter als knapp fünf Meter sein – sonst bleibt es nämlich vor der ersten Schleuse stecken. Und länger als 25 Meter sollte es möglichst auch nicht sein, denn sonst benötigt man auf den Binnenwasserstraßen in Deutschland ein Berufspatent. Aber auch in einigen europäischen Nachbarländern stellt die Bürokratie bei längeren Schiffen höhere Hürden auf. Damit ist das gängige Idealmaß maximal 25 Meter lang und unter fünf Meter breit – und so sind diese Schiffe besonders gefragt und teuer.
Damit engte sich die Auswahl schon beträchtlich ein. Anfangs sahen wir uns noch Segel- und Motorschiffe an, entschieden uns dann aber bald für letztere. Die haben zwar kein Rigg, verursachen daher aber auch weniger Arbeit nicht nur in Fahrt, sondern auch bei der Pflege und Wartung. Und sie haben meist ein festes Steuerhaus, das in unseren Breiten auch im Hafen ein wunderbarer Platz ist: Eine Art Wintergarten und der schönste Ort an Bord, um morgens zu frühstücken, mittags dort zu schreiben oder abends einen Sundowner zu trinken.
Fast zwei Jahre lang suchten wir nach unserem Schiff, hauptsächlich in den Niederlanden, aber auch in Frankreich und England. Die erste Zeit noch entspannt und nebenbei, im Zuge netter Kurzurlaube oder langer Wochenenden, zum Schluss jedoch sehr intensiv und gezielt. Die wichtigsten Hilfen dabei waren das Internet und einige auf Wohnschiffe spezialisierte Makler in den Niederlanden. Diese kennen den Markt und die Schiffe und sind vor allem auch bei der Kaufabwicklung eine wertvolle Hilfe – besonders dann, wenn noch Hypotheken auf dem Schiff lasten, was in den Niederlanden schon einmal vorkommen kann. Schließlich helfen sie auch, eine Versicherung zu finden und, sofern man das möchte, das Schiff in den Niederlanden notariell registrieren zu lassen. Unser Schiff kauften wir bei dem Makler (und Schiffsnotar) „De Haan & Broese“ in Harlingen und fühlten uns dort rundherum gut beraten und gewissenhaft betreut – vor allem bei der nicht unkomplizierten Kaufabwicklung und der Registrierung des Schiffes in den Niederlanden.
Als wir es fanden, war es Liebe auf den ersten Blick. „Libje“ heißt das Schiff, das ist Friesisch und bedeutet ganz einfach „Leben“. Es ist ein Motorschiff, jedoch noch mit Seitenschwertern ausgerüstet zum besseren Manövrieren in engen Häfen und Fahrwassern, wurde 1930 in Friesland gebaut und war bis zum Ende der 1960er Jahre als Frachtschiff in Fahrt. Unsere Voreigner hatten gute 33 Jahre lang an Bord gelebt und dabei auch noch drei Kinder aufgezogen. Dieses Schiff war und ist für uns ideal: Knapp 24 Meter lang, 4,30 Meter breit und mit einem Tiefgang von lediglich 80 Zentimetern. Äußerlich ist es weit gehend original erhalten geblieben, bis hin zum Ladegeschirr auf dem Vordeck, doch innen war es bereits einfach, aber gemütlich ausgebaut. Angetrieben wird das Schiff von einer 100-PS DAF Maschine. Wir erneuerten den Wassertank, ließen eine Zentralheizung einbauen (unsere Vorgänger hatten all die Jahre lang nur mit zwei Kohleöfen geheizt) und ein biologisches Klärwerk für die Fäkalienentsorgung. Ansonsten beschränkten wir uns auf kosmetische und dekorative Renovierungsmaßnahmen.
Davor standen jedoch noch die Übernahme des Schiffes und ein Werftaufenthalt in Friesland. Hier kam das Schiff auf die Helling, damit der Rumpf rundherum fachmännisch geprüft werden konnte. Ist der Stahl nicht mehr stark genug, muss gedoppelt werden. Das ist eine in den Niederlanden gängige Praxis, bei der einfach neue Stahlplatten von außen auf den Rumpf geschweißt werden. In diesem Fall war das nicht nötig und unsere Versicherung gab uns zehn Jahre Zeit, bevor der Rumpf erneut untersucht werden muss.
Wohnen an Bord – und fahren!
Damit war der Weg frei für die Überführung. In genau einer Woche fuhren wir in aller Ruhe und Gemächlichkeit von den friesischen Seen bei Sneek durch Kanäle und Wattenmeer bis nach Hamburg. Die Entdeckung der Langsamkeit: Fahrräder fuhren an Land neben dem Kanal her an uns vorbei, Fußgänger hielten fast mit uns Schritt und unzählige Enten tummelten sich rund ums Schiff. Ab und zu wurde eine Brücke für uns geöffnet, am ersten Abend ankerten wir auf einem winzigen See in vollkommener Stille unter einem hohen Himmel. Zufriedenheit breitete sich aus über diese angenehme Art des Reisens – und das mit unserem eigenem Haus! Übertroffen wurde es auf dieser ersten Reise nur von jener magischen Nacht, die wir trocken gefallen im Watt vor Neuwerk verbrachten. Beim abendlichen Niedrigwasser wanderten wir über die Sände, auf denen unser Schiff sicher und aufrecht wie ein Kirchturm stand. Die glühende Abendsonne färbte den nassen Sand blutrot, während am Horizont Containerriesen wie schwarze Scherenschnitte wirkten und im Fahrwasser der Elbe stromauf glitten. Über all dem blinkte das Leuchtfeuer von Neuwerk und noch lange standen wir schweigend dort, wo in wenigen Stunden wieder Wasser sein würde, und betrachteten unser Schiffshaus in dieser einzigartigen Umgebung. Genau dies war es, was wir gesucht hatten: Auf einem Schiff leben, das uns sicher beispielsweise hier in das Wattenmeer bringen würde. Oder auch zu einer der vielen europäischen Metropolen am Wasser: Berlin? Amsterdam? London? Paris? Prag? Und, natürlich, irgendwann auch durch die Provence und wieder in den Canal du Midi.
Mehr zum Thema auf Literaturboot: Mit dem Wohnschiff unterwegs.
Das Buch zum Thema gibt es hier: Hafenjahre. Über das Leben auf Schiffen.
Das Buch „Hafenjahre“ von Detlef Jens ist im KJM Verlag, Hamburg erschienen und kann im Buchhandel bestellt werden, oder auch direkt über den Verlag.
Eine Antwort
Hallo, ich kann bestätigen, dass das Leben auf einem Segelschiff eine ganz besondere Erfahrung ist. Wir haben vor gut zwei Jahren ein traditionelles Segelschiff komplett renoviert und seitdem mit ihm zur Zeit in der Karibik unterwegs. Im Moment suchen wir interessierte Liebhaber, die unser Projekt gerne fortführen würden.