„Unterwegs mit den Arglosen“ ist sehr lustig und erfrischend, gerade weil es so völlig politisch unkorrekt ist: Daran muss man sich erst einmal (wieder) gewöhnen! Stellenweise ist es gar offen rassistisch, aber diesen Rassismus verteilt Mark Twain sozusagen gleichmäßig – und das Buch muss natürlich im Kontext der Zeit gesehen und verstanden werden; die hier beschriebene Reise fand im Jahre 1867 statt. Damals hatte man in dieser Hinsicht offenbar noch keine Hemmungen und auch keine Probleme mit dem Thema an sich. Kaiser Napoleon III gab es, den Zaren und etliche Despoten, Tyrannen und andere gekrönte Herrscher. Gut, dass wir in dieser Hinsicht heute, jedenfalls in vielen Ländern, schon wesentlich weiter sind.
Die derben Kommentare und Anekdoten sind aber, wie gesagt, durchaus erfrischend. Weil das so heute niemand mehr schreiben würde. Auch das völlig zu Recht. „Ich habe noch nie einen Chinesen so sehr gehasst, wie ich diese heruntergekommenen Türken und Araber hasse. Und wenn Russland sich daran macht, sie ein klein wenig auszurotten, dann hoffe ich, dass England und Frankreich es nicht für wohlerzogen und klug halten, dem Vorhaben in die Quere zu kommen.“
Aber man muss das alles auch nicht zu ernst nehmen. Twain ist bekannt für seine derbe Ausdrucksweise und dieses Buch hat dazu auch noch viele satirische Elemente. „Hin und wieder trifft man einen ergrauten Ordensbruder mit kahl geschorenem Schädel, langer, grober Kutte, einem Seil als Gürtel und einem Rosenkranz, in Sandalen oder völlig barfuß. Diese Burschen leiden körperlich und tun wohl ihr Leben lang Buße, aber sie sehen aus, als würden sie immerzu Hungersnöte verursachen. Sie sind allesamt dick und fett. Man sollte sie gut abspecken und ausschmelzen. Aus den meisten könnte man Öl gewinnen wie aus einem Wal.“ Das kann man nun entweder geschmacklos und furchtbar finden, oder einfach komisch.
Nicht nur für heutiges Verständnis ebenso eigenartig ist sein Frauenbild. Die meisten weiblichen Wesen, die er beschreibt, reduziert er darauf, ob sie hübsch oder hässlich sind. In Genua war er völlig hin und weg: „Hier möchte ich mein Lager aufschlagen. Ich will nicht weiterreisen. Vielleicht gibt es woanders schönere Frauen, aber ich habe meine Zweifel. Woanders können sie kaum so zahlreich vertreten sein.“ Etwas später schildert er, wie er in einem Park eine besonders reizende Dame beobachtet. „Die junge Frau war wunderschön und erkältet. Sie schnäuzte sich unablässig, und je öfter sie sich schnäuzte, desto hübscher erschien sie mir. Es gäbe für mich kein größeres Glück auf Erden, als auf ewig an der Seite dieser Schönheit zu sein und dabei zuzusehen, wie sie sich die Nase putzt. Ich folgte ihr eine Stunde lang durch den Park und versuchte, genug Mut aufzubringen, doch ich schaffte es nicht. Ich wollte sie bitten, ihr ein einziges Mal die Nase putzen zu dürfen. Hätte ich nur ein Mal ihre Nase putzen dürfen, wäre ich bis in alle Ewigkeit glücklich und zufrieden. Doch ich war zu anständig. Anstand hat mich seit jeher daran gehindert, im Leben weiterzukommen, und so wird es wohl immer sein.“ Muss man das ernst nehmen? Völlig egal. Aber es ist großartig und amüsant zugleich!
Meistens lästert Twain jedoch ziemlich grob über diese und jene, die ihm auf seiner Reise auffallen. Seine originalen Texte wurden daher einst stark gekürzt und „entschärft“, allzu anstößiges entfernt um das Buch „Die Arglosen im Ausland“ kommerziell tauglich zu machen. Es basierte auf den Artikeln, die Twain von der Reise als Briefe für verschiedene Tageszeitungen in den USA verfasste. Die Reise? Ach ja – eine Pilgerfahrt einer Gruppe Amerikaner nach Europa und in das Heilige Land.
Mehr als genug Stoff für einen wie Mark Twain, kräftig nach allen Seiten auszuteilen – einschließlich religiöser Riten und Motive und seiner Mitreisenden, denn auch die Pilger, besagte „Arglose“, waren vor seiner scharfen Zunge und Feder nicht sicher. Und schon damals kritisierte er, wie alles Religiöse im Heiligen Land kommerzialisiert war.
Dennoch schien er an Bord des Schiffes, welches die Arglosen von den USA nach Europa und wieder zurück verbrachte, nicht unbeliebt gewesen zu sein. Die Mitreisende und ebenfalls Schreibende, für die Zeitung Ehemannes berichtende Mary Mason Fairbanks, schrieb über ihn: „Da gibt es einen Tisch, von dem unweigerlich lautes, ansteckendes Gelächter herüberschallt, und alle Blicke richten sich auf Mark Twain, dessen Gesicht wunderbar geeignet ist, um Heiterkeit zu wecken. Er sitzt träge am Tisch, in einer nicht sonderlich vornehmen Haltung, und hat dennoch etwas Unbeschreibliches an sich, das interessant und anziehend wirkt. Ich sah heute beim Abendessen, wie ehrwürdige Theologen und weise Männer sich wegen seiner Possen und eigentümlichen Manieren vor Lachen schüttelten.“ So steht es in dem ebenfalls lesenswerten Nachwort des Übersetzers, Alexander Pechmann, der hier die ursprüngliche, also nicht „geglättete“ Version der Anekdoten und Reportagen präsentiert.
Das Fazit? „Unterwegs mit den Arglosen“ ist ein echtes Lesevergnügen! Und ein weiteres, großes Plus ist die wunderschöne, geradezu liebevolle Ausstattung dieses Buches; wie es eben in der Reihe der „Klassiker“ im mare-Verlag üblich ist. Geprägter Leineneinband, feinstes Papier, sehr schöne Illustrationen von Truman W. Williams und eine Karte der Reiseroute auf dem Vorsatzpapier. Und das alles dann wieder in einem ebenso schön gestalteten, stabilen Schuber.
Unbedingt empfehlenswert!