Ich habe nicht vor, jemals noch einmal in einen schweren Sturm zu geraten, ich glaube, ich habe meinen Anteil daran (üb)erlebt. Da ich aber schon vorhabe, noch weiter zu segeln, lässt sich das leider auch nicht ganz ausschließen. Dennoch ist für mich die beste Sturmtaktik, möglichst gar nicht erst in einen Sturm zu kommen. Richtiger Ort zur richtigen (Jahres)zeit, gute Wettervorhersagen, sowie, vor allem, beim Fahrtensegeln niemals unter Zeitdruck planen oder segeln zu müssen sind schon mal keine ganz schlechten Voraussetzungen dazu.
Soweit das Wunschdenken. Trotzdem kann es einen natürlich immer mal wieder ganz schön erwischen. Dann sollte man schon zumindest eine Vorstellung davon haben, was am besten zu tun ist, und welche Optionen man überhaupt hat. Außerdem ist das Thema „Sturm“ so viel und heftig diskutiert wie, sagen wir, das Ankern. Dabei ist ja beides ganz einfach: Man muss nur das Richtige tun. Was aber ist das?
Spannend! Weil es endlos viele unterschiedliche Meinungen dazu gibt. Die meisten davon sind allerdings eher in der Kategorie „Stammtischweisheiten“ angesiedelt, die schlauesten Kapitäne sind eben doch immer die an Land. Oder, anders gesagt: Mach etwas richtig, und kein Mensch sagt etwas dazu. Mach etwas falsch, und Du bist nur noch von lauter Experten umgeben!
Im Sturm – was nun?
Da ist es geradezu wunderbar, auch notwendig, ein so umfassendes wie fast schon wissenschaftlich akribisches und sachliches Werk zum Thema vorliegen zu haben – ich möchte schon fast sagen, dies könnte das deutschsprachige Standardwerk zum Thema „Sturmsegeln“ sein. Verfasst von Heide und Erich Wilts, und die sind nun einmal auch Sturmexperten. Gemeinsam haben sie 160 (!) Stürme erlebt, vom Orkan bis zum Taifun, sowie Strandungen, Kenterung, wochenlanges, erschöpfendes Schwerwetter und den Verlust ihrer Yacht durch den Jahrhundert-Tsunami von Fukushima. Die beiden segelten allein oder mit wechselnden Crews durch die unwirtlichsten Reviere dieser Welt, umrundeten Kap Hoorn viele Male und durchquerten noch mit 75 Jahren die Nordwestpassage. Ihr Wissen ist unbezahlbar.
Aber es geht hier nicht nur um Stürme auf den freien Ozeanen, sondern, oftmals gefährlicher sogar und tückischer, auch um Stürme in Küstengewässern.
Im Sturm, an der Küste und auf See
So ist dieses Buch, diese Bücher – es handelt sich um zwei Bände in einem Schuber – einerseits empirisch fundiert durch diesen enormen Schatz an Erfahrungen, den Heide und Erich Wilts im Laufe des letzten, fast schon halben Jahrhunderts auf wirklich allen Meeren dieser Welt gewonnen haben: Ich kenne niemanden, die oder der mehr eigene Erlebnisse zum Thema beitragen könnte. Andererseits aber auch abwägend durch viele zitierte Quellen, durch die Erfahrungen anderer SeglerInnen, von Moitessier und Hiscock bis zu Erdmann sowie Lin und Larry Pardey oder Linda und Steve Dashew. Nicht zu vergessen meinen Kollegen Peter Bruce, dem ich einst bei der harten Recherche seines bahnbrechenden Werkes „Die besten Pubs an der Küste Südenglands“ tapfer zur Seite stand; hier allerdings eher in Zusammenhang mit dem von ihm überarbeiteten und aktualisierten sowie erweiterten englischen Standardwerk „Heavy Weather Sailing“, ursprünglich verfasst von Adlard Coles. Alles, natürlich, Seeleute vor denen ich nur den Hut ziehen kann und deren, nicht immer übereinstimmende Meinungen aufschlussreich sind.
Recherchen zum Thema Sturm
Auf jeden Fall, das ist nach solch einer Segelbilanz klar, haben Heide und Erich Wilts ihre klare Meinung zu so einigen Themen: „Zu Beginn vertieften wir uns in eine gründliche, zwölfmonatige Recherche und haben zum Thema Schwerwetter nicht nur unsere eigenen Logbücher und Berichte aus mehr als 50 Jahren durchgeforstet, sondern alles gesichtet, was wir an persönlichen Berichten von Seglern und an Fachbüchern zu diesem Thema finden konnten. Dabei stellten wir fest, dass es dazu in der Fachliteratur und bei vielen Seglern in Deutschland (aber nicht nur hier) offensichtlich große Defizite gibt. In den recherchierten Fachbüchern wiederholen die Verfasser unseres Erachtens seit Jahrzehnten in jeder Neuauflage eindeutig überholte, falsche und geradezu gefährliche Ansichten zum Thema Schwerwettersegeln – manchmal erschien es uns, als hätten sie selbst nie erlebt, wovon sie schreiben. Viele Empfehlungen widersprachen sogar krass unseren Erfahrungen. Dazu haben viele wissenschaftliche Erkenntnisse der letzten 25 Jahre noch gar keinen Eingang gefunden in deutsche Segelfachbücher.“
Auch ihre Einschätzung zur Hochseetauglichkeit von Yachten ist hoch interessant und dürfte vielen Eignern, aber auch Bootskäufern gute Denkanstöße geben. Denn danach wäre die erdrückende Mehrheit der heute produzierten Serienboote ganz eindeutig nicht seetauglich. (Die Diskussion um die CE Zertifizierung von Segelbooten will ich an dieser Stelle nicht beginnen, obwohl das als Thema brisant und spannend ist).
Am Ende hat jede/r eine eigene Philosophie, wenn es um das Segeln geht. Und nicht jeder ist Extremsegler. Aber was sichere, solide Schiffe und adäquate Ausrüstung betrifft, das sollte man schon kennen. Und weil kein Segler vor schwerem Wetter sicher sein kann, sollte er sich auch mit Strategie und Taktik in schwerem Wetter befassen. Zwar muss man, wie überall im Leben, seine eigenen Lösungen finden, aber man kann von den Erfahrungen und dem Wissen der versierten Segler hervorragend profitieren, wobei sie uns (wie hier) auch noch so gut vermittelt werden. Tatsächlich sind sie von unschätzbarem Wert – vom Unterhaltungsfaktor beim „Armchair Sailing“ (vor allem in Band II) einmal ganz abgesehen.
Fazit: Diese zwei Bücher in einem Schuber muss man haben!