Das Handwerk des Segelns

Hilaire Belloc (1870 bis 1953) war ein Mann starker Überzeugungen. Als Politiker und Poet und Schriftsteller – ja, diese Kombination gab es damals. Aber auch beim Segeln hatte er so seine eigenen Vorstellungen. Sein Buch „The Cruise of the Nona“ beschreibt eine Saison in den 1920er Jahren mit diesem 36 Fuß langen Gaffelkutter, der um 1870 herum gebaut worden war, natürlich ohne „die Scheußlichkeit eines Motors“. Wie so viele Segler seiner Generation war er „nie so tief gesunken“, als dass er einen Motor in seine Nona hätte einbauen lassen: „Ich würde lieber vor Durst sterben, zehn Meilen vor der Küste in einer unverschämten Flaute, nachdem ich mein Beiboot im letzten Sturm verloren habe, denn etwas an Bord zu haben was heute so ungeheuerlich als Hilfsmotor bezeichnet wird.“

Das ist schon eine starke Aussage, nicht nur, aber gerade für einen gebürtigen Franzosen (selbst, wenn er in England gelebt hat): Lieber vor Durst sterben. Hilaire Belloc sagte nämlich auch: „Ich trinke keinen Alkohol. Ich trinke Wein!“ Er hatte immer ein Fass Wein an Deck festgelascht. Guten, herben roten Landwein aus Frankreich.

Den brauchten seine Crew und er aber auch, als Nervennahrung in einigen haarigen Situationen die daraus entstanden, eben solch einen unhandlichen, schweren Kutter ohne Motor in den engen und tückischen Küstengewässern beiderseits des englischen Kanals zu segeln; mit reißenden Gezeitenströmen, Untiefen und häufigem Nebel.

Jedenfalls, das Segeln eines seegängigen Schiffes ohne Hilfsmotor ist die hohe Kunst des Handwerks des Segelns. Kann man machen, muss man aber auch können. Und außerdem starke Nerven, viel Gottvertrauen und Glück haben.

Der Grat zwischen dem scheinbar mühelos geglückten Manöver des Experten einerseits und dem totalen, peinlichen und oftmals auch teuren Scheitern andererseits ist schmal: Extrem dünnes Eis. Eine zur falschen Zeit einfallende Bö oder ein ungünstiger Winddreher reichen zuweilen aus, um ein perfekt eingefädeltes Manöver in der Katastrophe enden zu lassen. Oder die Schot eines weit aufgefierten Großsegels, die sich im Vorbeisegeln hinter einem Pfahl verhakt. Oder einfach nur eine falsch eingeschätzte Entfernung oder zu geringe Wassertiefe – die Möglichkeiten des „Untergangs“ sind endlos.

An- und Ablegen unter Segel, beides ist die Königsdisziplin des Seglerhandwerks. Was davon ist schwieriger? Kommt auf die Umstände an. Das Ablegen kann man meist besser vorbereiten, problematisch ist dabei oft die mangelnde Fahrt im Schiff, also wenig manövrierfähig. Beim Anlegen ist andersherum die typischerweise fehlende Bremse das Problem, allerdings kann man mit einem kleinen und wendigen Schiff bei viel Wind so manche Pirouetten auch auf engem Raum drehen, selbst wenn dabei das Einhalten der Geschwindigkeitsbegrenzung im Hafen schwer fällt: „Ich habe euch gesehen, das waren mehr als drei Knoten, eher sechs!“, bekam ich einst nach dem Anlegen an Land zu hören.

In diesem Fall hatte ich nur ein kleines, gerefftes Großsegel noch oben, war alleine mit meiner damals vier- oder fünfjährigen Tochter an Bord (die während der ganzen Aktion völlig unbeteiligt unter Deck spielte). Ich segelte ein paarmal im Hafen hin und her um zu schauen, was ich denn nun am besten tun könne. Zugegeben, bei böigen fünf bis sechs Windstärken mit deutlich mehr Speed als den im Hafen erlaubten drei Knoten. Aber was hätte ich tun sollen?

Entschloss mich dann zu einem wenig riskanten Aufschießer an einen einzelnen Pfahl, um mich dann von dort mit langen Leinen zum Steg zu verholen. Auch das geht, wird von vielen modernen Seglern oft nicht verstanden und mit, je nach Charakter, Verwunderung oder Verachtung beobachtet. Vor vielen Jahren in Aerosköbing war ich dabei, mich mit Leinen in eine Box zu verholen, als eine andere Yacht mit schäumender Bugwelle unter „Hilfsmotor“ angebraust kam und sich genau in die Box legte, die ich mir ausgeguckt und wohin ich schon eine lange Leine ausgebracht hatte.

Von solchen Ausnahmefällen abgesehen, macht das Manövrieren unter Segel, oder auch einfach nur manuell und ohne Motor, einfach Spaß. Es verleiht meiner Freizeitbeschäftigung „segeln“ eine weitere Dimension, oder, einfacher gesagt: Es macht zufriedener, wenn man auch ohne Motor auskommen kann.

Die Betonung allerdings liegt auf „kann“. Anders als der wunderbare Monsieur Belloc würde ich nicht gerne in Sichtweite der Hafenbar verdursten. Aber das kann ja jede Person mit sich selbst ausmachen…

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Detlef Jens – Gefährliche Gezeiten. Ein Segel-Krimi aus der Bretagne
Detlef Jens – Black Jack. Ein Segel-Krimi
Detlef Jens – Hafenjahre, Leben an Bord
Detlef Jens - Land's End. Ein Segelbuch über das Leben an Bord

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