Herman Melville: Typee

Herman Melville: Typee

Tom und Toby auf der Insel. In diesem schlichten Setting entwickelt Melville ein Buch von ungeheurer Kraft. Aber natürlich steckt mehr dahinter: Es sind zwei Matrosen eines Walfängerschiffs des 19. Jahrhunderts, das nach monatelanger Irrfahrt auf dem Ozean endlich vor der Südseeinsel Nuku Hiva ankert. Das Land sei bevölkert von wilden Kannibalen, heißt es unterhalb der Seeleute, es gebe jedoch auch einen friedlichen Stamm irgendwo in den tiefen Tälern dieser unerforschten Insel. Die beiden Matrosen Tom und Toby jedenfalls wagen die Flucht vom unerträglichen Dasein an Bord und der Tyrannei des Kapitäns.

Und nach einigen heftigen Abenteuern landen sie geradewegs im „Paradies“. Bei den angeblich so grausamen und blutrünstigen Typee werden die beiden freundlich und geradezu warmherzig aufgenommen – soweit sie das erkennen können, denn die Kommunikation ist fortan eines ihrer größten Probleme und Gefangene sind sie, das stellt sich bald heraus, trotz der großzügigen Gastfreundschaft der Inselbewohner dann eben doch.

Aber wer würde nicht sein angeblich „freies“ Leben gegen diese sinnliche Luxusgefangenschaft tauschen wollen? Die Beschreibungen des Inselalltags unter den Eingeborenen sind spannend, oft humorvoll und sehr romantisch. Und sie stimmen traurig – wäre das Leben der Typee damals nur halb so idyllisch wie hier dargestellt, dann könnte dies tatsächlich das verlorene Paradies gewesen sein. Zerstört, wie sie vieles in unserer Welt, von den so unglaublich ignoranten, überheblichen und brutalen Entdeckern und Eroberern der europäischen Großmächte jener Zeit.

So mischt sich von ganz alleine eine gehörige Portion Zivilisationskritik in diesen bemerkenswerten Text, wobei man sich unwillkürlich fragen muss, welche beider so grundsätzlich unterschiedlichen Welten denn eigentlich eine „Zivilisation“ im positiven Sinne sei oder ob die uns bekannte „Zivilisation“ nicht doch letztendlich ein ungeheurer Fluch ist, der die Zerstörung der Welt schon damals vorangetrieben hat: Ein ja durchaus auch aktuelles Thema.

Die verlorene Südseeidylle. Ein ungewöhnliches Buch, sehr lesenswert vor allem in der hier vorliegenden Neuübersetzung durch Alexander Pechmann. Er schafft es, die Sprache des 19. Jahrhunderts so zu schreiben, dass sie leicht lesbar wird. Hinzu kommen bislang unveröffentlichte Fragmente des Originalmanuskripts von Melville. Das alles in dem vom mare-Verlag in der Reihe der Klassiker gewohnt attraktiven Paket präsentiert, in einem gebundenen Buch, gedruckt auf feinem Papier, verstaut in einem stabilen Schuber – ein Genuss für alle Sinne.

Übrigens wurde Herman Melville nicht mit „Moby Dick“, sondern mit diesem Reisebericht bekannt, der auf seinen eigenen Erfahrungen als Matrose in der Südsee, aber auch auf anderen damaligen Texten beruht.

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