Viereinhalb Jahre lang segelte sie um die Welt, mit einem geliehenen Katamaran und zahlenden Gästen an Bord. Mareike Guhr ist Journalistin, Autorin, Texterin, macht aber auch Törnberatungen, Segeltraining und ist als Charterskipperin sehr gefragt. Nun erschien ihr Buch zur Reise: „Blau Türkis Grün“ heißt es und ist mehr, das sei schon einmal verraten, als das üblich Weltumseglerbuch. Die Farben des Meeres, jedenfalls die im Süden, sind eine schöne Zusammenfassung für das, worum es hier geht: Sehnsuchtsfarben, Sehnsuchtsorte, Inseln, Meer, Fernweh. Aber ist das auch schon alles? Natürlich nicht, denn Mareike Guhr hat durchaus mehr zu reflektieren als das simple „Hach, wie schön ist Panama!“. Für ihr Buch wählte sie eine ungewöhnliche Form mit vielen kurzen Texten, die ihr als Journalistin vielleicht am ehesten entsprechen, die aber auch immer mal wieder zum „hineinlegen“ einladen. Statt einer Rezension hier ein Interview, welches ich nicht lange nach ihrer Rückkehr schon geführt hatte, über das Leben nach einem solchen Törn.
Das Interview mit Mareike Guhr führte Detlef Jens
Seit September 2016 bist Du wieder zurück in Deutschland. Hast Du dich schon eingelebt?
Wenn man zurück kommt freut man sich erstmal sehr, auch ein bisschen Heimat zu erleben und die Jahreszeiten. Aber gleichzeitig stellt man sich das viel leichter vor, als es ist. Wieder einleben, das geht nicht mal eben so. Es hat etwas länger gedauert bis ich mir im Klaren darüber war, was ich eigentlich will. Nach einer ganzen Weile habe ich für mich entschieden, dass ich wieder los segeln werde, dass ich eigentlich auf einem Schiff leben möchte. Richtig sesshaft werden, das kann und will ich definitiv jetzt noch nicht. Vor dieser großen Reise war ich ja auch schon immer viel unterwegs, aber ich hatte eine Wohnung, ein Büro, viele Termine durch den Job und hohe Kosten. Dieses ganze Konstrukt möchte ich derzeit gar nicht wieder entstehen lassen. Das ist nicht ganz einfach, wenn man eine Weile hier lebt.
Die Idee, auf einem Schiff zu leben hattest Du schon länger?
Diese Idee hat sich lange entwickelt. 1999 war ich als Skipperin auf einem Charterschiff in der Südsee, in Tahiti und den umliegenden Inseln, dreieinhalb Wochen lang. Damals habe ich immer gedacht: Du meine Güte, all die anderen Inseln da draußen, die ich nicht erreichen kann mit einem Charterboot… Das ist auch der Kern meiner Reise jetzt gewesen. Ich wollte in den Pazifik. 2010 konnte es losgehen, erst mit einem anderen Schiff in die Karibik und zurück und dann ab 2012 mit dem Katamaran La Medianoche. Daraus wurden dann viereinhalb Jahre. Vorher hatte ich alles aufgelöst, verschenkt, eingemottet. Wohnung, Möbel, überflüssige Klamotten: Alles weg!
Was war das für ein Gefühl?
Einerseits großartig, aber es war auch komisch. Ich habe mich total drauf gefreut, aber es lag ja auch ganz viel Ungewisses vor mir.
Bevor Du losgefahren bist hast Du ja aber auch keinen normalen „nine-to-five“ Job gemacht.
Nein, klar, dann wäre ich vielleicht auch nicht so einfach losgekommen. Ich habe immer freiberuflich gearbeitet und ich habe nie wirklich feste Bindungen gehabt, die mich von irgendetwas abgehalten hätten. Ich hatte aber auch noch nie Existenzängste. Und ich bin schon immer viel gereist, auch als Kind, meine Schwester und ich haben mit unseren Eltern zum Teil auf den Seychellen gelebt, das ist schon irgendwie so ein Grundstock den du dann hast. Keine Angst vor der Fremde, im Gegenteil, Neugier, vor allem auch keine Berührungsängste mit dem was neu ist oder anders. Ich habe auch mal ein Jahr in Frankreich gelebt und dann später als Skipperin viele Chartertörns gemacht, überall weltweit, und der Job, den sucht man sich ja auch so aus, dass er zu einem passt. Ninetofive, das wäre nichts für mich!
Aber so richtig weg aus Deutschland, für immer, das hast Du auch nicht geplant?
Es macht mir ja auch Spaß, zu arbeiten. Leute zu beraten, zu schreiben, Vorträge zu halten – solche Dinge sind für mich an Deutschland gekoppelt. Weil es meine Sprache ist, weil es meine Freunde sind, weil ich hier mein Netzwerk habe. Ich bin dann auch gerne hier, nur nicht durchgängig und vor allem nicht im Winter! Ganz aussteigen muss ich nicht, aber das Leben komplett ändern, das ja. Mein altes Leben liegt derzeit in zwanzig oder dreißig Umzugskartons auf dem Dachboden meiner Tante. Aber wie gesagt, hier wieder sesshaft werden mit allem was dazu gehört, das möchte ich nicht. Und ich sehe auch meinen Aufgabenbereich darin, von meinen Reisen zu berichten und meine Erfahrungen weiterzugeben.
Wie erlebst Du das Leben hier denn jetzt so?
Wirklich erschreckend für mich war es, gleich zu Anfang als ich wiedergekommen bin zu erleben, wie sehr sich der Umgang mit den Smartphones hier entwickelt hat. Ich habe erst gar nicht richtig begriffen, dass sich in relativ kurzer Zeit so viel geändert hat. Auf der Straße guckt sich ja keiner mehr an. Alle haben ihre Köpfe gesenkt und schauen auf ihre Smartphones. Ich würde mal behaupten, dass viele ihre Umgebung gar nicht mehr wahrnehmen. Erschreckend. Und noch etwas: Wenn man unterwegs merkt, dass man viele Dinge gar nicht braucht, und hier liegen diese Dinge einfach vor der Tür herum. Der normale Supermarkt hier ist beispielsweise viel zu groß. Im Laden hier um die Ecke gibt es hunderte von Joghurtsorten, das ist schlicht Abartig! Das fällt einem krass auf wenn man erlebt hat, wie Menschen anderswo auf der Welt leben. Davon möchte ich mich nicht einfangen lassen, gar nicht unbedingt, weil man vielleicht das Geld nicht hat, sondern weil das einfach nicht notwendig ist. Wenn ich jetzt irgendwas Schönes sehe, und denke ach ja, das ist nett, dann klopfe ich mir selbst auf die Finger und sage: Quatsch. Brauchst du nicht. Ich will nichts anhäufen und nicht noch mehr mit mir herumschleppen. Und was auch schräg war: Ich habe eine Woche im Sandtorhafen in der Hamburger Hafencity gelegen, zur Willkommensparty, das war auch sehr schön. Aber dann guckst du dich um und siehst nur den puren Luxus. Es ist schwierig, den Leuten die da wohnen, die damit aufgewachsen sind und auch vielen meiner Freunde, die so ähnlich leben zu erklären, dass ich das total überflüssig finde. Ich möchte da auch gar nicht anklagen, aber das fällt mir schon auf. Ich habe hier also nicht nur Gutes gefunden. Aber auch. Morgens barfuß durch das frische feuchte Gras zu laufen, das ist unglaublich schön, das gibt es in den Tropen natürlich nicht. Und wie schön die Jahreszeiten sind, das merkt man erst, wenn man hier ist. Allerdings – im September wieder herzukommen und dann erstmal den langen grauen Winter zu erleben, das war schon hart. Schlechtes Timing von mir – aber da haben Hurrikane und Herbststürme auch ein Wörtchen mitzureden gehabt!
Deine Idee, ohne eigenes Schiff um die Welt zu segeln, war ja ziemlich genial.
Das war ursprünglich gar nicht meine Idee, beim ersten Schiff sagte eine Freundin zu mir: Da hat jemand das Schiff, aber es wird gar nicht genutzt, wollt ihr nicht mal miteinander reden? Das Beste ist natürlich, wenn man sich ein Schiff ausleihen kann und das für alle Beteiligten positive Effekte hat. Schiffe vergammeln nicht auf See, sondern im Hafen! Aber es ist nicht einfach und der erste Versuch hat nicht geklappt. Als ich aus der Karibik zurück war habe ich dann diesen Katamaran gefunden, oder er mich. Aber es gibt fast immer Möglichkeiten – beispielsweise mal ein Schiff dahin zu segeln, wo der Eigner gerne segeln möchte aber keine Zeit hat, selber hinzufahren. Es gibt so viele Schiffe, die im Hafen liegen und die genutzt werden wollen. Schiffe kann man sich organisieren, das hat aber immer auch mit Vertrauen und Verstehen zu tun. Wenn man einmal beweisen durfte, so wie ich es glücklicherweise konnte, dass man sich gut um ein Schiff kümmert, dann entsteht das benötigte Vertrauen. Oder man kann eine Eignergemeinschaft bilden, auch das ist toll, wenn auch nicht immer einfach.
Würdest Du gleich wieder in die Südsee segeln?
Wenn ich könnte, ja. Aber ich werde erst einmal Geld verdienen müssen und das geht vor allem hier in Deutschland, im Mittelmeer und in der Karibik.
Der Zauber der Südsee. Gibt es den überhaupt noch und worin liegt der?
Das ist einfach so wahnsinnig weit weg. Unberührt ist nichts mehr heute, aber verglichen mit dem was wir so um uns haben, völlig übervölkert und zivilisierst, voller Versorgungsmöglichkeiten alle paar Meilen, das gibt es da einfach nicht. Man muss sich da schon ganz anders organisieren. Es gibt wirklich noch Inseln und Menschen in der Südsee, die nicht überfrachtet sind und die auch nicht von Touristen besucht werden und nur von wenigen Yachten. Und es ist landschaftlich wunderschön, das finden wir auch anderswo, aber eben nicht mehr so entrückt. Wenn du über den Atlantik fährst in die Karibik, kommst du in einer gut strukturierten Welt an. Man findet alle 50 Meilen eine Werft, Marinas, Flughäfen, und all das. Das ist in der Südsee ganz anders, man segelt 3000 Meilen und kommt wirklich im Nirgendwo an. Du hast einen Ankerplatz und sonst gar nichts. Das ist eine ganz andere Ferne. Und im Vergleich zu dem was wir hier haben ist es wirklich leer. In den Hauptversorgungsbuchten bist du natürlich nicht alleine. Aber sonst schon. Es gibt Inseln, wenn da die ersten Yachten im Frühjahr auftauchen, haben die Bewohner schon monatelang keine mehr gesehen, das ist dann schon etwas Besonderes. Und dann liegen da maximal fünf oder zehn Boote, aber nicht 50 oder 200. Das Gute am Pazifik ist wirklich, dass es so weit weg ist und so schwierig, hinzukommen. Es ist mühsam und aufwändig, und nicht so einfach mal eben kurz in den Pazifik zu fahren. Es ist natürlich schon anders als zu Zeiten von Joseph Conrad, aber irgendwie ist der Zauber erhalten geblieben. Die Cook Inseln, zum Beispiel. Die sind so verstreut, da kommen auf einigen Inseln keine 20 Yachten im Jahr hin. In der Karibik hingegen kann man teils gar nicht mehr ankern, weil es zu voll ist in den Buchten.
Wenn du finanziell und auch sonst in jeder Hinsicht unabhängig wärest…
…dann würde ich mir einen Katamaran aus Aluminium kaufen. Ich habe riesigen Respekt vor Korallenköpfen, Steinen, treibenden Containern, also vor allem, was mir ein Loch in mein Schiff machen kann. Da ist man mit jeglicher Art von Metall so viel sicherer unterwegs. Und dann würde ich viele Inseln im Pazifik besuchen: Osterinseln, Marschallinseln, Papua-Neuguinea, Salomoninseln. Und wenn dann meine Familie und Freunde mich ab und zu besuchen kämen, dann würde ich auch gar nicht zurückwollen nach Deutschland. Obwohl ich gar nicht beurteilen kann, ob mir das dann nicht doch irgendwann zu viel werden würde. Aber diese Frage stellt sich ja zum Glück auch gar nicht!
Die Frage, die sich auch im Untertitel des Buches stellt: Warum ich um die Welt gesegelt bin, ist mit diesem Interview ja eigentlich schon beantwortet. Mehr Hinweise dazu finden Sie natürlich auch im Buch, mit vielen wunderschönen Bildern – geschriebenen und fotografierten. Wirklich empfehlenswert!