Die besten sterben früh. Ein Beispiel dafür ist der hochinteressante Autor Stephen Crane, der in mehr als nur einer Weise beeindruckt. Geboren 1871 in New Jersey als 14. und letztes Kind eines Methodistenpaares (nur acht seiner älteren Geschwister waren bei seiner Geburt noch am Leben), begann er früh zu schreiben. Zum Glück, denn obwohl er wegen einer Tuberkuloseerkrankung nur 28 Jahre alt wurde, hinterlässt er ein bemerkenswertes Werk. Ein Klassiker der Literatur ist sein Bürgerkriegsroman „The Red Badge of Courage“, sein bester Roman, der ihn auch international bekannt machte. Ein anderer Klassiker ist die Titelgeschichte des hier vorgestellten Buches, „Das offene Boot“.
Crane begann als Journalist in New York, wo er sich mühsam durchschlug und unter den Ärmsten der Stadt lebte. Seinen ersten Roman „Maggie“, über ein unschuldiges Mädchen, das durch die brutalen Lebensumstände erst in die Prostitution gezwungen wird und sich am Ende selber umbringt, wird von mehreren Verlagen abgelehnt – zu realistisch, zu drastisch erscheint ihnen das Werk, welches Crane schließlich selber verlegt. Ein kommerzieller Erfolg wird es nicht, was seine prekäre finanzielle Lage verschärft.
Dennoch, hier zeichnete sich sein späterer Stil ab, ein Stil, der dafür gerühmt wird, den neuen „amerikanischen Realismus“ in der Literatur begründet zu haben – wegbereitend für Autoren wie Hemingway, der ja auch als Journalist begann. Crane schreibt nüchterne Beobachterprosa, aber immer atmosphärisch dicht und auf den Punkt, niemals ein überflüssiges Wort, niemals langatmig. So, wie eben auch Hemingway nach ihm, der dann wohl der berühmteste Vertreter jenes amerikanischen Realismus wurde.
Crane arbeitete weiter als Reporter und Kriegskorrespondent. Auch, nachdem er mit seiner Frau Cora Taylor nach England gezogen war und sich in einem teuren Manor House in Sussex einquartiert hatte. Wo er sich zwar finanziell ruinierte, aber auch mit bekannten Autoren wie, unter anderem, Joseph Conrad anfreundete. Conrad sagte über die Story „Das offene Boot“: „Die Geschichte der vier Männer im Boot scheint mir in ihrer tiefen, schlichten Menschlichkeit das Wesen des Lebens selbst zu veranschaulichen.“
Diese Geschichte, Titelstory des 1898 erschienenen Buches mit Kurzgeschichten (The Open Boat and Other Tales), welches jetzt in neuer Übersetzung von Lucien Deprijk bei mare veröffentlicht wurde, basiert auf einer wahren, von Crane selbst erlebten Begebenheit. 1897 war er als Reporter auf dem Weg nach Kuba, mit einer Ladung Waffen für die damaligen kubanischen Revolutionäre, als das Schiff sank und so machte er seine eigenen Erfahrungen als Schiffbrüchiger in einem kleinen, offenen Rettungsboot. In der Geschichte geht es um eine Handvoll unterschiedlicher Männer in einem winzigen Boot, immer kurz vorm Sinken, und ihren Überlebenskampf – undramatisch, fast lakonisch erzählt, doch die Bilder und die Beschreibung der Natur in all ihrer gleichzeitigen Schönheit und gleichgültigen Grausamkeit sind tief berührend: Ein kleines Meisterwerk!
Alleine für diese Geschichte würde es sich lohnen, das, wie immer bei mare liebevoll ausgestattete Buch zu kaufen – aber auch die anderen Geschichten darin sind, wie eingangs schon gesagt, bemerkens- und lesenswert. Ein tolles Buch, also, und eins, das ich ohne Bedenken empfehlen kann.