Zugegeben, Tätowierungen spielen unter Yachtseglern eine weniger bedeutende Rolle als unter den Seeleuten vergangener Tage. Aber der Mare-Verlag bietet mit seiner Hommage an die Kunst auf der Haut selbst (mal wieder) ein kleines Kunstwerk: hochwertiger Einband und Papier, Lesebändchen, ansprechendes graphisches Motiv. Die perfekte Umgebung für die von den drei Herausgebern ausgewählten längeren Texte von 23 AutorInnen. Sie werden ergänzt durch Zitate zwischen den Kapiteln.
„Und ich bin stolz, dass ein Mann mich gestochen hat, lange vor meinem Stammhacker, bin stolz, dass ich vernarbte Spuren und Motive auf mir trage, die in keine Mode passen. Und ich bin stolz, dass ich den Ursprung kenne, und wenn die Maschine summt, klettere ich durch die Wanten, schmecke das Salz, höre in den Sturm hinein, sehe die Typen am Tresen, die dunklen Seelen in ihren Zellen“, schreibt der in Leipzig lebende Clemens Meyer im Vorwort. Sylvia Plath beobachtete Carmey, den coolen Tätowierer, der so gerne ein Foto von einer Schmetterlings-Tätowierung in einem Frauenschoß hätte, bei seiner Arbeit. Nicolai Lilin beschreibt die russische Verbrechergemeinschaft. „Eine Tätowierung ist wie ein Ausweis, sie dient dazu, den Rang innerhalb der kriminellen Gesellschaft mitzuteilen: die kriminelle ´Profession´, der man nachgeht, Informationen über den Lebensweg und die jeweilige Knasterfahrungen.“
Bis auf ganz wenige Ausnahmen grandiose Texte über die Kunstform Tätowierung. Nicht-Tätowierte könnten sich die Frage stellen, warum ihre Haut noch unverziert ist. „Derjenige, der im Naturzustand verharrte, unterschied sich in nichts vom Tier“, notierte Claude Lévi-Strauss schließlich einst.