Dr. Wubbo Ockels war Astronaut, Segler, Erfinder, Professor. Und ein unerschütterlicher Optimist, dessen wichtigste Mission erst nach seinem Weltraumflug begann.
Vom Weltall aus betrachtet, sieht die Erde nicht nur klein, sondern auch ganz und gar einmalig aus. Das jedenfalls meinte Wubbo Ockels, (1946 bis 2014), einer der immer noch relativ wenigen Menschen, die unseren Planeten schon einmal aus der kosmischen Perspektive sehen konnten. Das war im Jahr 1985, Wubbo war einer von drei europäischen Astronauten auf dem 22. Flug des Space Shuttle Challenger, während der deutschen D-1 Spacelab Mission. Die Challenger war übrigens jene Raumfähre, die schon auf ihrem nächsten, dem 23. Flug, so spektakulär verunglückte.
Wubbo Ockels hatte also Glück, und das nicht nur in dieser Hinsicht. Denn auch Astronaut wurde er eher durch Zufall. Der damalige Student der Nuklearphysik sah 1977 am Schwarzen Brett seiner Uni eine Anzeige der ESA, der European Space Agency: Astronauten gesucht! Jemand hatte das als Scherz aufgefasst und ein großes »Ha, Ha!« darunter gekritzelt. Wubbo aber, der schon immer ein Problem damit hatte einfach nur so wie alle anderen zu denken, dachte auch hier: Was, wenn es nun kein Scherz ist?
Also ließ er sich die Bewerbungsunterlagen kommen. Las das Anforderungsprofil und sah sich selbst darin. »Es passt alles! Ich wusste, das bin ich!« Er bewarb sich, wurde als einer von dreien aus mehr als 2000 Bewerbern ausgewählt. Warum? »Ich hatte die richtigen Eigenschaften zur richtigen Zeit. Vor allem aber habe ich ganz fest daran geglaubt, ich habe quasi gewusst, dass ich es schaffen würde!«
Überhaupt waren die Anforderungen eher mental, als physisch – sagt Wubbo. »Man muss in so vielen unterschiedlichen Feldern lernen. Vor allem technisch, aber auch laborwissenschaftlich. Wir sollten gewisse Experimente im All durchführen und es war von größter Bedeutung, dass diese Versuche genau durchgeführt wurden, das war ja unsere Mission. Außerdem musste man die medizinischen Kriterien eines Kampfpiloten erfüllen, und auch psychologisch fit sein. Smart und robust, ohne Paranoia oder Klaustrophobie oder ähnlichem.« Seine Ausbildung, die Vorbereitung zum Flug ins All, dauerte mehrere Jahre und Wubbo schätzt diese Jahre als die schönsten seiner Bildung insgesamt, denn dort lernte er, Multi-Disziplinär zu denken. Und, meint er, es sei fast wie bei der Olympiade: Jahrelanges Training – für eine Woche im All.
Natürlich hat diese eine Woche, in der er 112 Mal die Erde umrundete, sicherlich viel weitergehende Folgen als irgendeine andere Woche in seinem Leben. Sie hat sein Denken verändert, sein gesamten Weltbild. Um es in seinen Worten zu sagen: »Eine Vision dessen, was wir sind in Relation zu unserem Verständnis des Kosmos.«
Zu tun hat es, unter anderem, mit der Anziehungskraft: »Die Gravitation ist enorm, aber wir merken sie nicht, wir sind daran gewöhnt. Dabei ist Gravitation eine Beschleunigung mit 1G.« Wobei, kleine Nachhilfe in Physik, G die Gravitationskonstante ist, eine der physikalischen Grundkonstanten, basierend auf dem newtonschen Gravitationsgesetz. Zurück in die Praxis: »In einem Rennauto wäre man einer Beschleunigung von 1G ausgesetzt, wenn es in drei Sekunden von Null auf 100 Stundenkilometer beschleunigt. Das ist echt schnell! Aber der Druck auf deinem Rücken ist dabei genau der gleiche, als ob du dich einfach flach auf den Boden legst. Das ist also eine ziemliche Kraft, die man im All nicht spürt, aber wenn man zur Erde zurück kehrt denkt man: Was für eine verrückte Welt! Wir sitzen alle in einer Rakete, die ziemlich heftig beschleunigt!«
Wubbo Onkels als Astronaut, 1985
So weit, so verblüffend. Dabei ist diese Beobachtung nur der Startpunkt für eine von Wubbos vielen Ideen. Diese heißt: »Unsere Sicht auf den Kosmos ist eine Erd-Sicht, keine kosmische Sicht.« Und das wiederum hat monumentale Folgen. Lassen wir uns einmal auf diesen Gedanken ein:
»Die Tatsache dass man lebt heißt, dass man sich in der Zeit bewegt, denn das ist der Lebensprozess. Denken wir uns eine Metapher. Wir sitzen in einem Zug, den ich Lebens-Zug nenne. Dieser Zug ist das Element welches uns altern lässt, uns durch die Zeit bewegt. Älter werden bedeutet ja, dass wir uns durch die Zeit bewegen. Man kann nach draußen schauen und sehen, dass sich dort alles bewegt. Liegt es daran, dass es sich bewegt? Nein, es liegt am Zug. Daraus kann man eine Logik ableiten: Vom Standpunkt der Information aus bewegt sich alles. Und alles was ich beobachte, bewegt sich mit Lichtgeschwindigkeit. Denn das ist die Art, wie wir Informationen sehen. Und du weißt genau, dass wenn du über die Bewegung zum Älterwerden sprichst, also vom Gestern über das Jetzt bis Morgen, dies per Definition mit Lichtgeschwindigkeit geschieht. Weil du ja nicht in der Zukunft landest. Du bist nicht schneller, als die Information die du siehst. Aber die Vergangenheit holt dich auch nicht ein. Denn du bist ja auch nicht langsamer. Also musst du mit der Geschwindigkeit reisen, welche die Geschwindigkeit deiner Informationen ist, welche die Lichtgeschwindigkeit ist.«
Das leuchtet so weit ein. Dann nennt Wubbo noch eine Metapher: »Stell dir einen See vor, der vollkommen still da liegt. Du möchtest mit jemandem auf der anderen Seite kommunizieren, aber alles, was der wahrnehmen kann sind kleine Wellen auf der Wasseroberfläche. Also wirfst du einen Stein ins Wasser. Die Wellen breiten sich aus und erreichen ihn und du weißt dass ihr kommuniziert. Der Stein ist eine Information. Nun stell dir vor du hast ein kleines Boot und du fährst damit genauso so schnell, wie die Wellen sich bewegen. Dann kannst du viele Steine ins Wasser werfen, aber die Zukunft wird sich nie ändern. Und die Vergangenheit ist vorbei und du lebst in der Gegenwart.«
Daraus folgt etwas ziemlich Großes: »Wenn alle unsere Beobachtungen des Universums auf einer Zeit basieren, die wir selbst gemacht haben, dann ist es sehr plausibel, dass diese Zeit sich auf den Zustand der Erde bezieht, nämlich auf die Gravitation. Dann kann man aber sicher sein, dass wir Menschen nur einen kleinen Teil des Universums sehen können; den Erdähnlichen Teil. Es ist, als hätte man die grüne Brille auf und sieht nur den grünen Teil des Universums. Nun ist es aber ziemlich wahrscheinlich, dass andere Intelligenzen einen anderen „Erdzustand“ haben und dass sie also eine andere Brille aufhaben, vielleicht die rote, und die können dann nur den roten Teil des Universums sehen. Wir sehen beide einen Teil des Universums, aber wir sehen einander nicht! Und nun stell dir vor, wir wären in der Lage ein Instrument zu konstruieren, mit dem wir auch andere Zeiten erkennen könnten. Dann würden wir vielleicht schlagartig sehen, dass es um uns herum noch viele Arten anderen Lebens im All gibt. Denn was ist die Alternative? Zu glauben, wir wären allein? Die einzigen? Das ist kein guter kosmischer Gedanke. Wir haben dieses unfassbar endlose All mit hunderten von Billionen von Sternen und wir sollen die einzigen sein die wissen, dass es da ist? Und wir sehen ja nur das uralte Zeugs, wir haben nicht die geringste Ahnung, was gerade jetzt dort los ist!« Das Leben wäre jedenfalls aufregender, das ist sicher, wenn Wubbos Gedanken eine Wahrheit enthielten.
Eine andere Wahrheit ist schon bekannter, wenn auch kaum weniger Fundamental: »Wir haben nur einen Planeten. Und das All ist eine Bedrohung für die Erde. Es ist wie bei einem Schiff. Die Erde, das Raumschiff Erde, hat einen Rumpf um es gegen die Gefahren aus dem All zu schützen. Aber das ist nur eine dünne Schicht, die Atmosphäre, Luft.« Sein Blick wandert nach draußen, durch die großen Scheiben seines Büros in der TU Delft, am Institut für Luft- und Raumfahrttechnologie, wo er eine Professur hat. »Kaum jemand vermutet eine Bedrohung hinter den Wolken da draußen. Es ist wie beim Segeln. Ich segele gerne auf dem Ozean. Doch mein Boot hat einen Rumpf aus Stahl, um mich gegen die Gefahren des Ozeans zu schützen. Stahl! Aber die Erde hat das nicht. Sie hat nur eine dünne Schicht aus Luft…« Diese Beobachtung, sagt er, habe ihm seine wahre Mission deutlich gemacht. Unermüdlich für den Gedanken der Nachhaltigkeit zu werben. Und neue Konzepte zu erfinden, beispielsweise beim Personentransport. Oder bei der Energiegewinnung. Oder beim Segeln. »Dies ist jetzt meine Verantwortung«, sagt er. »Und weil ich als Astronaut bekannt geworden bin, habe ich eine Plattform. Die Menschen hören mir zu!«
Also erzählt er ihnen. Viele Dinge, voller Optimismus und Witz. Aber immer auch die eine, zentrale Botschaft: Ohne Nachhaltigkeit werden wir nicht überleben. Wobei ihm wichtig ist: »Es geht nicht ums Verzichten. Wir müssen nicht mit weniger leben. Nur intelligenter!« Und noch etwas sei sehr wichtig: »Es geht zunächst um die Entscheidung, weniger fossile Energie zu verbrauchen. Die gesamte Lösung ist zu groß. Wichtig ist der erste Schritt, zu sagen: weniger fossile Energie, mehr erneuerbare Energien.«
Dazu bietet Wubbo Ockels, der Erfinder, auch gleich praktische Projekte an. Zwei seiner wichtigsten sind der »Superbus« und die »Kite Energy«. Im Vergleich zum Superbus sehen konventionelle Busse aus, wie aus dem Automobilmuseum. Denn dieser Bus ist rasant, flach, schnell – mit bis zu 250 Stundenkilometern soll er, auf eigenen Fahrspuren, in Metropolregionen seine Passagiere flexibel, sicher und komfortabel von A nach B befördern. Dabei ist der Bus auch zum Betrieb auf normalen Straßen und in kleinen Gemeinden einsetzbar, also vielseitiger als beispielsweise ein Zug. Das Ding ist wie eine Mischung aus Rennwagen und Privatjet, aber ökologisch betrachtet natürlich hundertmal besser als beide – und als unsere bisherigen Busse, die bei Tempo 100 so viel Energie verbrauchen, wie der Superbus bei Tempo 250. Der Antrieb: Vollelektrisch.
Dann das Projekt »Kite Power«. Dagegen sehen moderne Windräder alt aus. Seine Idee ist es, Windenergie mit Lenkdrachen zu gewinnen, die in große Höhen aufsteigen, wo es stärker und konstanter weht. Seit Januar 2010 sind mehrere Versuchs- und Demonstrationsmodelle der Energiedrachen im Einsatz, betrieben von einer internationalen Forschungsgruppe. Doch kaum steht diese Idee kurz vor der Alltagstauglichkeit, denkt Wubbo weiter. »Meine faszinierendste Erfindung ist noch nicht realisiert worden. Da ist die »Ladder Mill«, eine Leitermühle, eine Endlosschlaufe mit hunderten von Drachen die wirklich hoch aufsteigen – einen Kilometer, zwei, drei. Am Boden hat man ein großes Rad, welches kontinuierlich dreht und einen Generator antreibt. Ein dauerhafter Prozess, also. Und es wird elegant aussehen; die Drachen die wie Flügel aufsteigen, immer höher bis man sie nicht mehr erkennen kann und dort oben die unglaubliche Menge an Energie abschöpfen, die dort einfach vorhanden ist. Es ist mein Traum, das zu realisieren!«
Ein Traum, der gerade realisiert wird, ist sein Schiff, die Ecolution. Dafür verkauften seine Frau Joos, die er einst mit einer aus dem Weltraum mitgebrachten Brosche überraschte, und er im Jahre 2007 ihr Haus. Ein großes Haus, wie er sagt, aber ihre Kinder sind erwachsen und auf eigenen Wegen unterwegs. »Unser Plan ist es, an Bord zu leben.« Wubbo lernte schon als Kind zu segeln, auf einem kleinen See nahe seines heimischen Groningen. Bewunderte ältere Jungs, die mit einem Flying Dutchman unterwegs waren, jener schnellen Regattajolle, die lange Zeit olympisch war. Seither liebt er vor allem schnelle und elegante, also eher klassische Segelboote; sagt von sich selbst aber auch dass er beim Segeln nie der Rennsegler war, sondern immer eher das »Herumspielen in kleinen Booten« genossen hat: »Erst mit Freunden, dann mit Freundinnen, dann und wann auch mal mit einem Kasten Bier!«
Die wahre Seefahrerin scheint jedoch seine Frau Joos zu sein. »Wann immer sie einen Horizont sieht, am Meer, sagt sie: dorthin will ich segeln! Dies ist ihre Art, zu leben!« Und ihre Ecolution wird sie dorthin bringen, zum Horizont und weiter. Der Rumpf ist klassisch, ein Langkieler aus Stahl, entworfen übrigens von Gerard Dykstra (vergl. Seite xx in diesem Heft). Alles andere an dem 26-Meter-Schiff ist neu. Getakelt mit dem Aero-Rigg damit seine Frau und er das Schiff sehr leicht jeweils alleine oder zu zweit segeln können. Und ausgerüstet mit jeder Menge Energie, die aus Sonne, Wind und Wasser erzeugt wird. »Die Botschaft dieses Schiffes lautet eindeutig: Nachhaltigkeit bedeutet nicht „weniger“. Es bedeutet „anders“, und mehr Spaß. Wir haben jede Menge Energie an Bord!« Genug jedenfalls für eine Waschmaschine, einen Geschirrspüler, Trockner, Mikrowelle, sogar einen Bordeigenen Hammam. Nach seinen Berechnungen sollen vier Tage segeln ausreichen, um die 120 Bordbatterien mit Energie für drei Wochen aufzuladen.
Sehr gerne hält Wubbo auch Vorträge in Firmen, wozu er oft eingeladen wird. Auch von solchen Unternehmen, die nicht besonders »grün« wirken, beispielsweise einer Fracht-Fluglinie. Deren CEO war nervös, von wegen all dem Kerosinverbrauch, wie können ausgerechnet wir von Nachhaltigkeit sprechen? Wubbo beruhigte ihn. Sein Vortrag sei nicht dazu da, jemanden schlecht darzustellen. Sondern um zu zeigen, wie man in die richtige Richtung losgehen kann. »Jeder«, das ist seine Überzeugung, »der sich für Nachhaltigkeit entscheidet wird sich auch besser fühlen. Er wird in seinem Herzen wissen, dass er zu der kommenden Kultur gehört. Die industrielle Revolution ist vorbei. Wir wissen seit ungefähr 30 Jahren, dass wir so nicht weiter machen können. Jetzt erleben wir das Endspiel!« Ihm gehe es um »glückliche Energie«, sagt Wubbo Ockels, um eine innere Einstellung zunächst. Solch einen Vortrag hat er auch vor den Frachtfliegern gehalten, 250 Personen, und alle waren begeistert.
Aber frustriert es ihn nicht, dass wir so gar keinen Fortschritt erzielen im Kampf gegen den CO2-Ausstoß? Schon, sagt er. »Aber der Einzelne bekommt keine Alternative, nicht wirklich. Die Alternativen werden nicht vom freien Markt kommen. Die Industrie konkurriert mit denselben Produkten. Einer baut eine Tankstelle, ein anderer baut eine bessere Tankstelle. Aber etwas ganz anderes? Das gibt der Markt nicht her. Man muss sicherstellen, dass das, was man für gut erachtet, das ersetzt, was man als schlecht identifiziert hat. Das kann aber nur eine Regierung, die Politik, es ist eine kulturelle Entscheidung aber nichts, was der freie Markt regeln wird. Fast jeder würde vermutlich lieber ein Elektroauto kaufen – wenn es denn zum gleichen Preis zu haben wäre, wie ein herkömmliches Auto. Dafür muss gesorgt werden!«
Immerhin ist jeder Einzelne trotzdem, auch im beschränken Rahmen der Alltagsmöglichkeiten frei darin, sich für einen Weg der Nachhaltigkeit zu entscheiden. Wubbo Ockels glaubt, dass wir es sogar in unseren Genen haben. »Wir haben in unseren Genen programmiert, dass Sex spaß macht, weil wir uns vermehren müssen. Wenn wir davon ausgehen, dass wir in Zukunft auf nachhaltige Weise leben werden, haben wir auch davon etwas in unseren Genen!«
Zuerst erschienen war dieser Artikel im Jahre 2012 in der Zeitschrift GOOSE – www.classics.robbeberking.de