Den meisten fällt erst mal das klotzige Palais des Festivals ein, das Kongresszentrum gleich vorne am Anfang der Croisette, das nun wahrhaftig keine Zierde für die Stadt ist und das im Volksmund schlicht „der Bunker“ heißt. Das, und natürlich das Filmfestival. Cannes? Anke ist entsetzt: „Was soll ich da? Hässlich ist es doch wohl eher, dazu auch noch laut, übervoll, und snobistisch.“ Einerseits hat sie ja recht, denn seit die Kongresse, Tagungen und Messen hier fast pausenlos stattfinden, hat Cannes sich verändert. Irgendwann kommt jetzt jeder mal her, ob Schlagersänger, Immobilienmakler, Filmstar oder Werbemensch. Cannes hat für viele Branchen die passenden Veranstaltungen im Angebot, und das macht die Stadt nicht unbedingt romantischer.
Und doch. „Chérie“, sage ich, „du kennst nur diese eine Seite der Stadt. Ich zeige dir ein ganz anderes Gesicht von Cannes.“ Das der Altstadt von Le Suquet, zum Beispiel. Oder der Iles de Lérins im Frühling. „Mein“ kleines Restaurant in Palm Beach, das besonders im Winter jeden Mittag nur so brummt, weil sich dann hier die alten Franzosen zum hervorragenden und gleichzeitig sehr preiswerten Buffet treffen. Die Boote im alten Hafen, und die versteckten Strände in den Klippen unterhalb der Küstenstraße jenseits von Théoule. Ach, und natürlich der Antik-, oder besser gesagt Trödelmarkt in der Allée de la Liberté, zu Füßen des bronzenen Lord Brougham, jeden sonnigen Samstag Vormittag. „Chérie“, sage ich noch, denn davon bin ich überzeugt: „Du wirst es lieben!“
Der Lord hat übrigens schuld. 1834 fing hier der Zirkus an, als Brougham, en route zur italienischen Riviera, in dem idyllischen Fischerdorf an der weit geschwungenen Bucht zwischen den Iles des Lérins und dem Esterel-Gebirge Station machte. Er blieb, baute sich eine Villa, lud seine Freunde ein, und alles weitere ist Geschichte. In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts tobte hier das Society-Leben in einer neuen Dimension – die Freunde des Lords hatten stets die milde Wintersaison bevorzugt, doch diese neuen Wilden, darunter etliche Filmstars, kamen hauptsächlich im Sommer. Ein feiner Unterschied, der sich bis heute gehalten hat. Im Sommer brodelt hier das Leben, doch die Juweliere und Courtiers am Boulevard de la Croisette verkaufen ihre besten und teuersten Stücke nach wie vor im Winter.
Der jetzt schon wieder vorbei ist. Ab Februar blühen hier überall die Mimosen, die farbenprächtigen Blumenarrangements in den öffentlichen Anlagen halten sich sowieso rund ums Jahr. Bei angenehmen Temperaturen und schon spürbar wärmender Sonne spazieren wir durch die Altstadt. Erst die enge, lebhafte Rue Meynadier entlang, wo die Sinne angesprungen werden von Geräuschen und Gerüchen aller Art. Geklapper, Gelächter und verführerische Küchendüfte hängen in der Luft, zwischen den kleinen Läden und Restaurants. „Hier könnten wir ein wunderbares Picknick einkaufen“, dabei bleiben wir vor dem Fenster von „Ernest“, Traiteur, stehen, in dem die leckersten Delikatessen locken.
Aber zunächst geht es weiter, den Berg hinauf. An der Ecke, wo die Rue Saint Antoine beginnt, trinken wir an der Bar des „Saint Antoine“ zur Stärkung noch einen Kir. Hier ist den ganzen Tag was los, man trifft sich und verabredet sich wieder für den frühen Abend, um dann hier die Pläne für die Nacht zu schmieden.
Dann folgen wir der gewundenen Straße bergan, von der links und rechts, fast wie in Blankenese, kleine Gassen und Treppen abzweigen. Oben bei der Burg angekommen werden wir belohnt durch den Blick über den alten Hafen, die Bucht und den Iles des Lérins, zu denen wir die nächsten Tage noch hinausfahren werden, mit den Booten vom Gare Maritime aus. Im historischen Turm hinter uns ist das Musée de la Castre, mit wechselnden Foto-Ausstellungen und ständige Exponaten aus Archäologie und Geschichte.
Das es jedoch schon fast Mittag ist, gehen wir wieder bergab, hinunter zum Quai Laubeuf am alten Hafen. Jetzt scheint hier noch die Sonne hin, die später hinterm Berg verschwinden wird. Zum Aperetiv vorm Lunch ist dies immer ein angenehmer Platz, die Leute arbeiten dann auch auf den hier vertäuten Yachten und es ist schon angenehm, ihnen mit einem Drink in der Hand dabei zuzusehen. Jetzt im Frühjahr stehen auch viele Schiffe aufgebockt auf dem großen Parkplatz am Ende der Pier, während gegenüber, entlang des Jetée Albert Edouard, die Fähren – Pardon: Megayachten liegen. Man kann dort genüsslich die „Heckparade“ abnehmen, bis hin zum kleinen Leuchtturm am Ende der Mole. Zum Lunch geht es dann einige Schritte weiter an der Croisette entlang, zu einer der Beachbars unterhalb der Promenade am Strand. Hier im windgeschützten Freien zu sitzen, bei einem köstlichen Lunch, dabei Sonnenwärme und Wein aufsaugend, das gefällt auch Anke.
Den Nachmittag verbummeln wir genüsslich in der Rue d’Antibes, der eigentlichen Einkaufsstraße von Cannes, und den rechtwinklig davon abzweigenden Nebenstraßen voller Geschäfte und Galerien. Dabei haben wir noch soviel vor – einen Ausflug zum Musée Picasso nach Antibes, dann zur Parfumstadt Grasse, einen anderen Tag hinaus zu den Inseln und nicht zu vergessen den Antikmarkt. Vielleicht fahren wir auch einmal ein Stück die „Route Napoléon“ hinauf in die hügelige Provence. Als er am 2. März 1815 nach Cannes kam, musste der kleine Korse übrigens vor der Stadt kampieren – dort, wo heute die Rue Bivouac Napoléon verläuft. Tags zuvor war er, von Elba entkommen, in Golfe Juan gelandet, von hier aus zog er weiter nach Paris.
Abends können wir aus 300 Restaurants wählen, das ist gar nicht so einfach, immerhin sind 20 davon Michelin-besternt oder im Gault-Millau lobend hervorgehoben. Aber meine Lieblinge für den romantischen Abend befinden sich in Le Suquet, zum Beispiel die „L’Auberge Provençale“, oder auch das „Gavroche“. Natürlich könnten wir auch wieder einmal von den hervorragenden Krustentieren des Meeres bei „Astoux“ unten an der Rue Félix Faure naschen – das Leben als Gott in Südfrankreich ist eben auch nicht nur einfach. Und Anke? Hat ihre Meinung über Cannes dann doch revidiert…