Der Roman „Acqua alta“ von der Seglerin und Schriftstellerin Isabelle Autissier enthält wunderbare atmosphärische Beschreibungen von Venedig und der Lagune. Aber nicht nur deswegen ist dies auch ein romantisches Buch. Dies ist der Plot: Venedig wird von den Wassermassen eines „Acqua alta“ zerstört und verschlungen, dies ist ein besonders starkes, winterliches Hochwasser in der Lagune. Denn dass Venedig allmählich versinkt, ist ja schon lange klar. Gleichzeitig sorgt diese Tatsache für einen Familien- und Generationenkonflikt. Guido Malegatti ist ein Emporkömmling, der es vom Bauunternehmer zum Stadtrat in Venedig gebracht hat. Er setzt voll auf die möglichst breite touristische Ausbeutung Venedigs und will den Umweltproblemen mit monumentaler, moderner Technik Herr werden – das Symbol dafür ist das gigantische und umstrittene Sperrwerk an der Einfahrt zur Lagune, „Mose“. Seine 17-jährige Tochter Léa widmet ihre ganze Energie der Rettung der Stadt, vor dem wild wucherndem Tourismus und den zerstörerischen Natureinflüssen – und wird so zur Gegnerin ihres Vaters. Zwischen den beiden steht, zunächst unentschlossen, die Mutter. Sie stammt aus einer uralten venezianischen Familie und trauert vor allem den alten, längst vergangenen Zeiten nach.
Soweit das Setting, menschlich spannend und differenziert, sowie das ganze Dilemma nicht nur Venedigs, sondern natürlich der ganzen Welt. Die schockierende Wahrheit ist ja, dass wir schon seit den 1950er Jahren um die Zusammenhänge unseres Verbrauches an fossilen Brennstoffen, dem CO2 Ausstoß und allem anderen Folgen unserer Lebensweise mit einer Veränderung der Umwelt und des Klimas wissen und dass sich trotzdem nichts oder nur viel zu wenig daran ändert. Und dass auch immer noch in die falsche Richtung entwickelt wird – hier symbolisiert durch das Sperrwerk MOSE.
Da stellt sich die Frage von alleine: Wer schlägt sich auf welche Seite und mit welcher Konsequenz? Dafür zu sensibilisieren ist das Buch gut, ebenso für die große Frage: Wie kann man die Menschheit aus ihrem Phlegma reißen? In einem Roman kann man dafür freilich keine praktische Antwort erwarten. Ausreichend ist, dass es überhaupt thematisiert wird. Bücher, wie Philosophen, müssen ja vor allem erst einmal die richtigen Fragen stellen. Die Antworten in der Realität müssen dann die Gesellschaften finden. Oder eben auch leider nicht.