Mecklenburg/Haefs: Mythos Labskaus

Kleine Kulturgeschichte vom Labskaus: Immerhin hat es der rosa Brei vom Seemannsfraß zum Spezialitätengericht in einigen feinen Restaurants an der Küste geschafft; vom Smutje zum Sternekoch hat so jede ein ganz eigenes Rezept. Eine davon finden sich in diesem Buch, neben vielen anderen Geschichten.

Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern

Labskaus findet sich bis heute vor allem an Orten, wo es Häfen, Seeleute und die Hanse gab. Der Legende nach soll Labskaus schon vor Jahrhunderten auf Segelschiffen gegessen worden sein. Es wird erzählt, ein einfallsreicher Schiffskoch habe Pökelfleisch durch den Wolf gedreht und mit anderen Zutaten wie Schiffszwieback zu Brei verkocht, weil viele Matrosen an Skorbut erkrankt und deshalb zahnlos waren. Das Problem: Der Fleischwolf wurde erst Mitte des 19. Jahrhunderts erfunden. Richtiges Seemannsgarn ist auch die Theorie, nach der Labskaus entstand, als es einem Smutje in seiner Kombüse bei schwerem Sturm nicht mehr möglich war, etwas Vernünftiges zu kochen. Also nahm er alles, was er finden konnte, und mixte es zu einem herzhaften Brei, der so gut in der Schüssel, auf dem Teller oder an den Löffeln klebte, dass man ihn auch noch bei hohem Wellengang verzehren konnte. Ein etwas rauer Matrosenspruch lautete: „Alles, was der Seemann im Laufe der letzten Woche verloren hat, findet sich im Labskaus wieder“. Die heutigen Konservierungs- und Kühlmöglichkeiten standen im Segelschiff-Zeitalter nicht zur Verfügung, erfahren wir aus dem Buch „Mythos Labskaus“ von Jens Mecklenburg & Gabriele Haefs. Deshalb gehörten zum Schiffsproviant vor allem Gepökeltes, Eingewecktes und andere lang haltbare Lebensmittel. Viele Seeleute hatten durch die Mangelkrankheit Skorbut ihre Zähne verloren und aßen nur noch Kleingehacktes oder Püriertes. Mancher Schiffskoch konnte die Verwendung von minderwertigen oder schon verdorbenen Zutaten so kaschieren. Die eigentliche Entstehungsgeschichte dieses Grundnahrungsmittels für Seefahrer und Küstenbewohner beginnt aber viel früher. „Lobscouse“ wurde 1706 von dem englischen Autor und Satiriker Ned Ward erstmals erwähnt. 1878 feierte das Labskaus in einem seemännischen Wörterbuch dann seine deutschsprachige Premiere.

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Von vergangenen Zeiten

Die AutorInnen beschäftigen sich mit Schiffsproviant und Essen an Bord in früheren Zeiten einschließlich drohender Meutereien, wenn das Essen zu schlecht oder knapp war. Mit den Zutaten eines Labskaus und ihrer Kulturgeschichte – von Ochsen über Hering bis zum Rollmops – und besuchen die Labskaus-Hochburgen des Nordens. Sie fanden sogar in Estland Spuren von Labskaus. Man erfährt, dass in walisischen Wörterbüchern die Erklärung für Labskaus aus dem Norwegischen übernommen wurde. In norwegischen Wörterbüchern wiederum heißt es, das Wort stamme aus dem Niederdeutschen. Und dort wird erneut nach Norwegen verwiesen. Was es also ursprünglich bedeutet, scheint niemand zu wissen. Wir lesen auch, dass walisisches Labskaus wenig Gemeinsamkeiten mit dem Norddeutschen hat (Lamm statt Rind), es aber genauso gut schmeckt. Ähnliches erfahren wir aus Skandinavien. Jedes Land, jede Region hat seine ganz eigene Interpretation was in den „Mischmasch“ gehört.

Jede Region hat ihr eigenen Mischmasch

Walisische Kochbücher behaupten gern, „Lobsgaws“ sei von Seeleuten aus Norddeutschland nach Norwegen gebracht worden, von Norwegen nach Liverpool und von Liverpool nach Wales. Es gab schon im 19. Jahrhundert eine fleischlose „Lobsgaws“-Variante, weil viele Menschen zu arm waren, um sich Fleisch leisten zu können. Weil nur die Armen vegetarisches „Lobsgaws“ aßen, bekam es den Namen „Lobsgaws Troednoeth“, Barfuß-Labskaus. Es wurde manchmal auch „Sgows Dall“ genannt, blindes „Scows“, weil durch das fehlende Fleisch keine Fettaugen in der Brühe schwammen.

Norwegen wie Wales sind Labskaus-Hochburgen wie in Norddeutschland Bremen, und Hamburg. Aber die Labskaus-Hauptstadt schlechthin dürfte Liverpool sein. Zumindest wird in englischen Kochbüchern „Scouse“ als Liverpooler Spezialität bezeichnet und wird so stark mit Liverpool assoziiert, dass Leute aus Liverpool noch heute als „Scousers“ bezeichnet werden. Es gibt sogar ein Fan-Lied des FC Liverpool: „We’re not English, we are Scouse!“

In Norwegen wird Labskaus scheinbar je nach Jahreszeit serviert – es gibt zwei Varianten. Die beiden norwegischen Labskäuse bestehen vor allem aus Kartoffeln. Das helle Labskaus, „lys labskaus“, enthält darüber hinaus noch Schinken oder Corned Beef und Porree. Das alles wird in einen Topf gegeben und ab und zu umgerührt, bis ein dicker Eintopf entstanden ist. Das dunkle Labskaus, „brun labskaus“, also eigentlich braunes Labskaus, enthält meistens Rindfleisch, es gibt aber auch Varianten mit Rentierfleisch, Geflügel oder sogar Walfleisch. Helles Labskaus gibt es vor allem in Frühling und Sommer, dunkles in Herbst und Winter, vielleicht also bezieht sich der Name auch darauf, ob man es bei Tageslicht verzehrt oder in der winterlichen Finsternis.

Ein Gericht wie der Norden

Nach ihrer Spurensuche quer durch Norddeutschland und Nordeuropa sind die AutorInnen überzeugt: „Erscheint Labskaus auf den ersten Blick auch ein wenig deftig, bodenständig und rustikal, ist es genauer betrachtet ein Gericht voller Tiefe, Geschmacksvielfalt und mit einer großen kulinarischen Wucht. Buttrige, erdige, fruchtige und saure Noten vereinen sich harmonisch mit feinfaserig-marmoriertem Rindfleisch zu einem geschmacklichen Gesamtkunstwerk. Eine Speise mit langer Geschichte, Salzgeruch und Potenzial für die Zukunft. Ein Gericht definitiv nicht nur für Freunde des Rustikalen und Traditionellen, sondern auch für Feinschmecker geeignet.“ Dass sie richtig liegen können, zeigen die vielfältigen Rezepte namhafter Köchinnen und Köche aus Norddeutschland, die neben traditionellen Varianten auch zeitgeistige moderne Rezepturen anbieten. Es gibt sogar ein vegetarisches Rezept. Sebastian Junge, Barbara Stadler, Thomas Sampl und Jochen Strehler – allesamt Slow Food Köche – verbinden gut Tradition mit moderner Regionalküche. 2-Sterne-Koch Johanns King zeigt, dass auch Gourmets Spaß am Labskaus haben können. Hilfreich sind zusätzliche Tipps für gute gastronomische Labskaus-Adressen.

Wer Labskaus versteht, verstehe den Norden und seine Menschen: lautet das Fazit der AutorInnen. Auf jeden Fall verstehen sie es, gekonnt Appetit auf das alte Seemannsgericht zu machen. Wer hätte das gedacht, dass in einem einfachen „Mischmasch-Gericht“ so viel Geschichte(n), Sehnsucht, Poesie und Geschmack stecken kann. Ein gelungener Auftaktband der neuen „Edition Nordische Esskultur“, zu der auch die stimmungsvollen Zeichnungen von Till Lenecke beitragen.

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