Kaum eine Stadt ist so sehr mit dem Meer und, vor allem, der maritimen Geschichte Großbritanniens verbunden wie Plymouth: Vor 400 Jahren gingen von hier aus die „Pilgerväter“ in See. Gelegen an einem weitläufigen Naturhafen in Südwest-England, direkt an der Grenze zur Grafschaft Cornwall, ist sie auch von einer wunderschönen Natur umgeben. Seglern ist Plymouth vor allem als Zielhafen des Fastnet Race bekannt.
Das letzte Mal war ich 1979 hier gewesen, damals noch ein ganz junger Kerl, nach dem so traurigen wie dramatischen Fastnet Race in jenem Jahr: Plymouth, Ocean City. Unter Seglern bis vor wenigen Jahren noch bekannt als Zielhafen dieses Hochsee-Rennens, aber natürlich noch so viel mehr. Ich hatte ja alles vergessen von der Stadt und der wunderschönen Gegend rundherum; damals hatte ich mich in Plymouth, froh, den Orkan überlebt zu haben dem so viele andere Segler zum Opfer gefallen waren, irgendwo an Land ziemlich stark betrunken und war am nächsten Tag, nachdem wir wieder ausgelaufen waren, bei drei Windstärken seekrank geworden – eben sehr verkatert.
Und heute? Ein wunderbarer Ort für Seefahrer. Ich wohne im „Admiral MacBride“, dem ältesten und nettesten Pub dieser historischen Stadt (1, The Barbican, Admiralmacbride.com). Direkt am Wasser, am Yachthafen, der im historischen „Sutton Harbour“ eingerichtet wurde. Mit uneingeschränktem Wasserblick vom Bett aus und, ein Stockwerk tiefer, einer urgemütlichen und sehr freundlichen Bar. Herz, was begehrst du mehr? Vielleicht noch dies: Ein wirklich ganz ausgezeichnetes Fischrestaurant nur wenige Schritte weiter, natürlich auch an der Wasserfront. „Platters“ heißt es, ein kleiner, eher unscheinbarer Laden (12, The Barbican). An zwei aufeinander folgenden Abenden esse ich hier, es ist beide Abende gerammelt voll, entspannt und fröhlich. Sensationell das traditionelle „Chowder“, eine cremige, dickflüssige Fisch-Kartoffelsuppe, sowie die tagesfrischen, gegrillten Fische. Vor allem aber bekomme ich hier, zum ersten Mal außerhalb Frankreichs, endlich wieder meinen liebsten Weißwein: Muscadet, von der Loire, gerade eben südlich der Bretagne. Aber wir sind hier ja auch nicht so weit entfernt von der Bretagne, die liegt ja nur geschätzte 80 Seemeilen nach Süden quer über den Englischen Kanal. Ein Klacks, mit einem ordentlichen Segelschiff…
So stehe ich tagsüber auf Plymouth Hoe, der großen, sanft geneigten Rasenfläche oben auf der felsigen Huk, die in den Naturhafen von Plymouth Sound hineinragt, und blicke hinaus auf See – wie schon Sir Francis Drake oder James Cook und viele, viele andere. Das Panorama hat sich seit dem 15. Jahrhundert nicht wesentlich verändert, die wesentlichen Landmarken sind natürlich, der Leuchtturm auf den Eddystone Rocks, jenen hinterhältigen Felsen, die in der Ansteuerung von Rame Head auf nachlässige Navigatoren und allzu sorglose Kapitäne lauern, wurde von Henry Winstanley schon 1696 gebaut. Der Rasen in meinem Rücken wurde berühmt, als Sir Francis Drake 1588 darauf bestanden haben soll, sein Boule-Spiel zu beenden bevor er endlich die Spanische Armada angriff. Und besiegte, denn erst nach besagtem Boule Spiel standen angeblich Wind und Tide günstig für den englischen Seehelden, der übrigens auch einige Jahre lang Bürgermeister von Plymouth gewesen war. Bevor er seine schillernde Karriere als Pirat im Auftrag ihrer britischen Majestät begann, zum Schrecken vor allem Spanischer und Französischer Seefahrer.
Drake kannte diesen Hafen also gut, ebenso wie James Cook, der zu allen drei seiner berühmten Forschungsreisen in den Pazifik von hier absegelte. Ebenso wie die „Pilgrim Fathers“, die 1620 mit der „Mayflower“ von hier nach Amerika ablegten, um dort die zweite englische Kolonie zu gründen. Die „Mayflower Steps“ am Hafen, auch nur wenige Schritte von meinem Quartier im Admiral MacBride, sind natürlich eine der berühmten Touristenattraktionen, wenn auch rein optisch eher unspektakulär. Spektakulärer war auf jeden Fall die Heimkehr von Francis Chichester, als er am 28. Mai 1967 mit seiner „Gipsy Moth V“ nach Plymouth einlief, nachdem er als erster Mensch alleine um die Welt gesegelt war – mit nur einem Stopp, irgendwo auf halbem Weg. Rund eine Million Menschen sollen damals die Ufer der weitläufigen Plymouth Sound gesäumt haben, um sein Einlaufen auf keinen Fall zu versäumen. Chichester wurde zu einem weiteren britischen Seehelden und als ein solcher natürlich auch von der Queen geadelt, selbst nachdem er gesagt haben soll: „Jeder Trottel kann nüchtern um die Welt segeln. Man muss schon ein richtiger Seemann sein, um das auch betrunken zu schaffen.“ Selige Zeiten, damals, ganz ohne Political Correctness und andere gesellschaftliche Einschränkungen. Aber vielleicht hatte er ja auch einen Vertrag mit der Plymouth Gin Distillery, die schon seit 1793 Gin produziert, der vor allem durch die Royal Navy in buchstäblich alle Welt gebracht wurde. Während der 1930er Jahre soll dies der am weitesten verbreitete Gin gewesen sein. Die Distillerie arbeitet heute noch, mitten im fashionable Barbican Distrikt, eben jener historischen Gegend rund um den Sutton Harbour.
Glücklicherweise blieb dieses alte Fischer- und Hafenviertel verschont, als deutsche Bomber während des Zweiten Weltkriegs im „Blitz“ die Stadt weitgehend zerstörten. Plymouth war ein strategisch wichtig gelegener Hafen, großer Stützpunkt der Royal Navy mit entsprechenden Werftkapazitäten. Genützt hat es nichts, denn im Juni 1944 war Plymouth auch einer der Ausgangshäfen für die Invasionsflotte der Alliierten, die dann an der Omaha Beach und der Utah Beach in der Normandie landeten. Die Stadt Plymouth wurde nach dem Krieg neu aufgebaut aber dadurch nicht unbedingt hübscher; die wenigen historischen und heute unter Denkmalschutz stehenden Gebäude befinden sich im „Barbican“. Das ist auch die aktuelle Partymeile, mit einer angenehm hohen Konzentration an Bars und Restaurants und viel Leben entlang der Wasserfront.
Weniger bekannt ist das reizvolle Hinterland, vor allem das Tamar Valley, welches wegen seiner historischen Minen sogar zum Weltnaturerbe zählt. Der Fluss Tamar, der in den Plymouth Sound mündet, ist insgesamt 61 Meilen lang, wovon etwa 19 Meilen schiffbar sind. Bis in die 1940er Jahre fuhren Frachtschiffe von bis zu 400 Tonnen auf dem Fluss landeinwärts bis nach Weir Quay, heute eine idyllische, kleine Bootswerft mit Moorings für Yachten. Diese könnten von hier aus noch bis nach Calstock flussauf segeln, danach ginge es höchstens noch für Ruderboote weiter bis nach Weir Head, kurz vor einem Wehr in Gunnislake.
Dieses Flusstal ist nicht nur besonders romantisch und landschaftlich wunderschön, es war einst auch als Transportweg für besagte Minen wichtig. Seit der Bronzezeit wurde hier im Boden zahlreiche wertvolle Mineralien gefunden und gewonnen, darunter auch Silber, Blei, Kupfer. Heute spielen die Minen wirtschaftlich schon lange keine Rolle mehr, einige davon sind aber erhalten und für die Besucher der Gegend durchaus Sehenswert. Wer ohne eigenes Boot nach Plymouth kommt: Von April bis Oktober fahren die Ausflugsschiffe von Plymouth bis nach Calstock und wieder zurück. Eine angenehme und landschaftlich hübsche Tour, die ich selbst zwar lieber mit dem eigenen Boot unternehmen würde, aber die Ausflugsdampfer sind immer noch besser als ganz gestrandet am Ufer zu sitzen…
Anreise: Diese gestaltet sich über See einfacher, als über Land. Die nächst gelegenen Flughäfen sind Exeter oder Bristol, beide werden jedoch international kaum (es gibt jedoch Flüge von Amsterdam nach Exeter, mit Flybe) angeflogen. Von London Heathrow aus sind es, per Bus oder Bahn, noch rund vier Stunden bis Plymouth, per Leihwagen rund drei Stunden. Eine Alternative wäre der Eurostar Zug bis nach London und von dort per Zug nach Plymouth weiter.