Einer meiner absoluten Lieblingsdrinks in der Strandbar von Petit St. Vincent war damals der „Russian Satellite“. Schmackhaft, aber auch sehr hochprozentig. Nach kurzer Zeit wussten wir schon, warum dieser Cocktail so hieß: Wir konnten doch tatsächlich die russischen Satelliten am Himmel kreisen sehen… Allerdings sendeten diese noch keine Positionsbestimmenden GPS-Daten an die Erde.
Der Segelalltag, zurück auf der Nordsee, sah damals anders aus. Die Deutsche Bucht zeigte sich mal wieder von ihrer trüben Seite: Nebel. Dazu leichter Wind, was die nun besonders notwendige Koppelnavigation nicht gerade erleichterte, denn umso mehr wurden wir im Verhältnis von der hier durchaus auch unberechenbar laufenden Tidenströmung versetzt. Helgoland wollten und mussten wir finden, denn zurück woher wir gekommen waren, in die Elbe hinein, war keine Option: Lauernde Sandbänke auf beiden Seiten eines von Containerriesen stark befahrenen Fahrwassers, das ist kein guter Ort für ein kleines Boot im Nebel.
Navigati0n ist Glückssache?
So segelten wir unsere Suchschleifen durch die dicke Suppe und malten unverdrossen unsere gegissten, vielleicht sollte ich lieber sagen: geratenen Positionen in die Papierseekarte. An Navigationsausrüstung hatten wir alles Nötige an Bord. Einen frisch kompensierten Steuerkompass mit Deviationstabelle, dazu Log, Echolot, Peilkompass und Fernglas. Dann passierte es. Durch die wabernden grauen Schleier sahen wir ein Schiff fahren. Ein Passagierschiff. Die „Wappen von Hamburg“! Unterwegs nach Helgoland. Schnell! Eine Peilung! Da, in die Richtung muss der Felsen liegen!
Das, verehrtes Publikum, war damals die wahre (Küsten-)Navigation. Peilen, Koppeln, möglichst genau steuern. Und jedes, aber auch jedes Indiz für einen Hinweis zur Position nutzen, in diesem Fall eben die „Wappen von Hamburg“. Oder Kabbelungen im Wasser, die Untiefen oder Strömungskanten verraten. Überhaupt, Richtung und Stärke des Stromes beim Passieren von Tonnen oder Baken erkennen. Und so weiter…
Von meiner Nebelfahrt in der Deutschen Bucht, lange ist es wie gesagt her, sind mir zwei Dinge lebhaft in Erinnerung geblieben. Das wunderbare Gefühl, als wir zwischen den mächtigen Molen in den Helgoländer Außenhafen einliefen und die Suppe immer noch so dick war, dass wir nur mit Kompasskurs in den Innenhafen fanden. Was für eine Erleichterung! Stolz! Tiefste Zufriedenheit! Wieder ein Abenteuer bestanden! Das andere: Noch während wir blind im Nebel umherschipperten, dachte ich, wie wunderbar wäre es jetzt einen kleinen schwarzen Kasten an Bord zu haben, der mir auf Knopfdruck genau meine Position sagt…
Tja. Zwei oder drei Jahre später war es dann soweit. Die ersten, noch großen und noch sehr viel Strom fressenden Sat-Nav Geräte kamen auf. Im Prinzip genauso ein schwarzer Kasten. Damals flogen noch nicht so viele Satelliten durchs All, die genaue Position gab es immer nur, wenn gerade eines der Dinger irgendwo dort oben vorbeigerauscht war, so alle zehn Minuten etwa.
Jetzt schwirren tausende davon im Orbit. Vermutlich gibt es bald einen Stau in der Erdumlaufbahn. Oder, wie Lou Reed über den „Satellite of Love“ einst sang: Satellite’s gone way up to Mars. Soon it’ll be filled with parking cars. Aber von wegen, Satellite of Love. Die Dinger dienen ja eher dem Militär. Dem US-Amerikanischen. Und wenn deren Oberbefehlshaber schon Twitter abschalten will, weil ihm da etwas nicht passt, wird er im Zweifel bei den Navigationssatelliten auch nicht lange fackeln.
Navigation auf die „alte Art“
Dann allerdings kann ich froh sein, die Navigation noch auf die alte Art gelernt zu haben. Davon abgesehen, gilt auch dies: Jedes vermeintliche verbessern, indem man das Segeln durch immer mehr Technik noch komfortabler und noch einfacher macht, wird das Erlebnis nicht schöner, sondern banaler werden lassen. Man beraubt sich der wahren, starken Emotionen. Der Zufriedenheit, etwas Schwieriges gemeistert zu haben.
Die Romantik bleibt dann sowieso auf der Strecke. Captain Jack Sparrow sagte, auf seine unnachahmliche Art: „Ich habe ein Rendezvous. Hinter meinem geliebten Horizont.“ Das allerdings dürfte dann ein Ort sein, den man mit GPS-Daten und Kartenplotter ganz sicher nicht finden wird!
Trösten könnten Sie sich mit einem „Russian Satellite“. Exklusiv für Sie gebe ich hier das Rezept preis, welches mir vor so vielen Jahren von Barkeeper Alton B. Collis auf diesem winzigen Grenadineneiland anvertraut wurde: Weißen Rum, Crème de Menthe weiß und etwas Milch im Cocktailshaker mit viel Eis schütteln. In ein großes Brandyglas füllen und einen kräftigen Schluck fünfundsiebzigprozentigen Rum aus den Inseln, von Martinique oder anderswo, vorsichtig auf der Oberfläche schwimmen lassen, bestäuben mit frisch geriebener Muskatnuss. Damit findet auch Jack Sparrow, garantiert, sein Rendezvous!