Erinnerung an Siegfried Lenz

Siegfried Lenz. Einer der ganz, ganz großen und dabei sympathischen deutschen Autoren der Nachkriegszeit, der Bundesrepublik. Politisch und kritisch, aber auch immer human und oft humorvoll. Zudem war er, wie Menschen, die ihm nahe standen sagen, ein besonders liebenswürdiger Mann, ein „Wassermann“ gewissermaßen und obendrein ein Genießer. Schon in den Fünfzigerjahren zog es ihn nach Dänemark, von 1958 bis 1986 hatte er ein kleines Fischerhäuschen auf der Insel Alsen, wo er mit seiner Frau vier bis fünf Monate im Jahr verbrachte; ansonsten lebte er in Hamburg. Dort, auf Alsen, in abgelegener Ruhe ohne Telefon und Fernseher, entstanden einige seiner bedeutendsten Werke. „Deutschstunde“ zum Beispiel, jener Roman, der ihm auch international zum Durchbruch verhalf. Immer wieder und wie es scheint mit besonderer Vorliebe hat er über das Wasser, das Meer und die Menschen geschrieben, die damit in Verbindung stehen.

Mit dem großartigen Koch Christian Bind verband ihn eine solide Freundschaft. Die beiden kannten und schätzten sich viele Jahre lang; zuerst traf Lenz Bind, als ersterer im Falsled Kro aß wo letzterer gerade Küchenchef war. Das ist lange her und seitdem folgte Lenz seinem Freund durch mehrere berufliche Stationen des Elsässers; vom Falsled Kro nach Flensburg („Chez Paul“), dann zurück über die Grenze in das „Hotel Fakkelgaarden“ und schließlich in Binds eigenes Restaurant am Ufer der Flensburger Förde, im kleinen Ort Sønderhav.

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Die zweite Hochzeit 2010. Ulla Lenz, Christian Bind, Siegfried Lenz
und Pia Bind (von links nach rechts) im Restaurant Bind

Siegfried Lenz und seine damalige Frau hatten sich schon lange und intensiv mit den dänischen Essgewohnheiten befasst. Lange Zeit galt Dänemark, ebenso wie die norddeutsche Nachbarregion, als kulinarisches Katastrophengebiet. Lenz hat einen wunderbaren und bekannten Text darüber verfasst, über seinen Kummer nämlich mit den „Jütländischen Kaffeetafeln“, aus dem ich hier zitieren möchte weil er so köstlich ist wie ein Menu von Christian Bind. Nachdem Lenz und seine Frau schon reichlich gemästet waren an jener Kaffeetafel, passierte dies: „Doch kaum hatte ich mich zurückgelehnt, als ein Hügel von kränklicher Weiße gebieterisch auf mich zuschwebte, ein Gletscher, bedeckt mit bräunlichem Moränenschutt, waghalsig verziert mit Kirschen, die dem erstarrten Schaum sanft eingedrückt waren: die erste Großtorte, der Lovkager, der Stolz der Hausfrau, den abzulehnen einer Beleidigung gleichgekommen wäre. Das vorzeitlich anmutende Ungetüm des Genusses wurde in die Mitte der Tafel gestellt, ein ererbtes Tortenmesser brachte ihm die erste Wunde bei, und dann wurde namentlich jeder aufgefordert, seinen Teller heranzureichen zum Empfang kiloschwerer präzis geschnittener Batzen. Wie viele Schichten waren da verständig übereinander gelegt, der Boden erinnerte an Jütlands sandgraue Küsten, die erste Füllung an seine dunkle Torferde, etwas Versteiftes, Klumpiges gemahnte an einheimische Hünengräber, und beim Anblick der lastenden Sahneschichten musste ich an jütländische Winter denken.“ Doch damit nicht genug. „Plötzlich neigte sich mir mein Nachbar zu, zwinkerte und riet mir, den Teller rasch leerzuessen, da gleich die Napoleonschnitten dran wären, ein mit Vanillepudding gefülltes Labsal, schön zittrig unter glasiertem Blätterteig. Und kaum hatte der kreisende Teller ihn erreicht, als er mir auch zwei Stücke zuschaufelte, jedes so dick wie Tolstois Krieg und Frieden.“ Und schließlich, nachdem er sich für einige Minuten an die frische Luft gestohlen hatte: „Der Teller an meinem Platz konnte mein Teller nicht sein, denn ich hatte ihn leer hinterlassen, und jetzt lastete auf ihm, plätteisengroß, ein naturfarbenes Stück Nusstorte, mit Buttercreme ehrlich angereichert, eine Spezialität der Hausfrau. Ich beäugte das Stück, stach es, stupste es mit dem Gäbelchen, fragte es ab: Es wollte nichts weiter als bewältigt werden.“

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Ein Klassiker, diese Undercover-Reportage aus dem freundlichen Dänemark der Fünfzigerjahre („Jütländische Kaffeetafeln“). Seitdem hat sich viel geändert, auch in kulinarischer Hinsicht. Auch in Dänemark, auch dank Christian Bind. Dort, im Restaurant Bind an der Förde, heiratete der Witwer Lenz 2010 ein zweites Mal. Oft war er hier zu Gast, saß im Sommer am liebsten auf der kleinen Terrasse mit dem wunderschönen Blick über das Wasser. Nun hat seine Witwe Ulla, gemeinsam mit der Siegfrid Lenz Stiftung und  Christian und Pia Bind ein „Siegfried Lenz Zimmer“ dort eingerichtet, in Erinnerung an den im Oktober 2014 verstorbenen Schriftsteller. Bücher, Fotos, Möbel sowie andere persönliche Dinge des Autors zeugen von Lenz´ enger Beziehung zu Südjütland und Dänemark. Geöffnet ist die Privatsammlung seit dem 11.02. für alle Gäste des Restaurants Bind zu den normalen Öffnungszeiten sowie nach Absprache.

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Sehr zu empfehlen ist das Buch „Wasserwelten“, in dem die schönsten Meerestexte von Siegfried Lenz in einem Band versammelt sind: Von Meer und Küste, Fluss und Hafen, Wracks und Tauchern und dem Glück, einen Fisch zu fangen. „Ich wünschte, dieses Buch könnte man durchschwimmen, mitunter für eine Passage ein Ruderboot nehmen, dann ein wenig darüber hinweg segeln oder mit der Barkasse durchtuckern“, hieß es dazu auf NDR Kultur.

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www.restaurantbind.dk/de/

 

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