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Ahab, Hilfiger und Co.: Nantucket

Das gibt es so wohl nur in Amerika. Zum Katerfrühstück eine Lobster-Bloody-Mary, die Spezialität des „White Elephant“ direkt am Hafen von Nantucket. Im hochprozentigen, mit Wodka verdünnten Tomatensaft steckt ein gewaltiger Schaschlikspeer, auf dem fein säuberlich größere und kleinere Teile eines gekochten und ausgezogenen und zerhakten Hummers aufgespießt sind. Serviert in der vormittäglichen Sonne auf der Terrasse der Bar des besten Hotels der Insel, mit Blick auf die vielen ankernden Boote, bevor es hinausgeht aufs Wasser, zur Segelregatta um den legendären Opera House Cup, an Bord eleganter, klassischer Yachten.

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„This is so Kennedy“, lächelt mein Tischnachbar, ein Mode-Stylist aus New York. Offenbar muss die umtriebige Familie immer noch herhalten, wenn es außergewöhnlich oder auch nur ganz gewöhnlich dekadent wird. „Die Briten haben ihre Royals“, erklärt er mir, „wir haben eben unsere Kennedys!“

Wieder etwas gelernt. Auch die Lobster-Bloody-Mary kannte ich vorher noch nicht, und die muss man erstmal mögen. Aber dann gehen wir hinaus, zum Segeln auf dem Sound of Nantucket, in den vielleicht schönsten Gewässern der US-Ostküste. Abends steigt dann die Party des Jahres an der Jettie’s Beach. Die Band heizt die Stimmung auf, ein halber Ozean an Getränken fließt durch hunderte ewig durstige Kehlen, auf den Barbeques bruzzeln die Köstlichkeiten. Es ist die Preisverleihung der Regatta, die weit mehr ist, nämlich das gesellschaftliche Großereignis der Insel. Und seit die Luxusuhrenmarke Panerai die Regatta und das Megafest sponsert, weiß man erst recht, was die Stunde geschlagen hat. Bis auf vielleicht Senator John Kerry, der eine Villa und eine Yacht hier hat, kommen eigentlich alle her. Einigen der ganz hart gesottenen Seglern geht dieser gesellschaftliche Auftrieb gegen den Strich, da das Segeln selbst zur Kulisse zu verkommen droht, doch die allermeisten lieben es einfach. Zumal sich immer auch Prominenz unters feiernde Volk mischt, denn viele Berühmtheiten haben große Villen auf der kleinen Insel; Tommy Hilfiger zum Beispiel und Ralph Lauren und einige amerikanische TV-Größen.

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Jetzt ist es wieder ruhig, denn der Opera House Cup bildet den Abschluss nicht nur der Nantucket Race Week, sondern der Sommersaison an sich. Ab jetzt, finden die Insider, beginnt hier die schönste Zeit. Ein langer und goldener und milder „Indian Summer“, der Ort ruhig, die Straßen leer, der Ozean gerade noch warm genug zum Schwimmen und Segeln. Ab Ende August ist Nantucket wieder das „weit entfernte Land“, wie es der Name sagt, den einst die Indianer dieser Insel gaben. Rund 30 Seemeilen vor der Küste von Massachusetts liegt Nantucket, und das Leuchtfeuer der Insel ist fast immer das erste gewesen, was hoffnungsvolle Einwanderer aus Europa vom neuen Kontinent erblickten – nicht, wie so oft behauptet, die Freiheitsstatue von New York. Zuerst übrigens lebten die Indianer und Einwanderer auf dieser Insel noch jahrelang in friedlicher Koexistenz miteinander. Bis die Siedler damit begannen, das Land unter sich aufzuteilen. Das für die Indianer ganz selbstverständlich so frei und für alle da war wie das Wasser oder die Luft auch.

 

Dabei hatten die frühen Siedler gar nicht viel von ihrem Land. Auf diesem windigen Außenposten im Atlantik mit seinem kargen Sand- und Heideboden war die Landwirtschaft nicht besonders einträglich, der wahre Reichtum fand sich im Meer. Zunächst wurden von den Bewohnern nur zufällig auf der Insel gestrandete oder angespülte Wale zerlegt und verwertet; gegen Ende des 17. Jahrhunderts dann begann man, die Tiere von offenen Booten aus in den Gewässern vor Nantucket aktiv zu jagen. Die Wale wurden nahezu komplett verwertet; vor allem Kerzen und Öl stellte man daraus her. Mit der beginnenden Industrialisierung erlebte der Walfang einen enormen Aufschwung, an dem vor allem auch die Insel reich wurde. Wale waren der Treibstoff des neuen Zeitalters, erst mit der Verarbeitung des Erdöls als neuem Energieträger, die um 1850 herum begann, verloren der Walfang und damit auch Nantucket wieder an Bedeutung.

Unsere Buchempfehlungen zu Büchern über den Walfang, vom Nantucket-Autor Nathanieal Philbrick: 

Und in deutscher Sprache: Leviathan oder der Wal

 

Dennoch sind Wale bis heute allgegenwärtig auf Nantucket, nicht nur im wirklich sehenswerten Walmuseum und auf der Inselflagge. Stilisierte Pottwale prangen auch auf T-Shirts und Polohemden und Hosen sowie unzähligen Souvenirs, geschnitzte Wale zieren Haustüren und Hoteleingänge. Kein Wunder, denn das Jahrhundert des Walfangs, das von etwa 1750 bis 1850 dauerte, bescherte dem abgelegenen Eiland ein erstes Wirtschaftswunder. Walfänger aus Nantucket lieferten mehr Wale als alle anderen, und weil die Heimatgewässer schon bald leer gefischt waren segelten sie vom Atlantik aus nach Süden und um das Kap Horn herum in den Pazifik hinein. Solche Reisen dauerten oft mehrere Jahre und waren nicht ungefährlich, wie das tragische Beispiel des Walfangschiffes „Essex“ zeigt. 1820 wurde das 238-Tonnen Segelschiff im Pazifik von einem wütenden Pottwal mehrmals gerammt und versenkt, von den 20 Mann Besatzung überlebten gerade einmal acht.

Und schon 1852 begann der Wal-Kult, mit dem Erscheinen von Herman Melvilles Buch Moby Dick, zu dem er durch das Unglück der „Essex“ inspiriert wurde. Melville selbst lebte kurz auf der Insel und heuerte hier auf einem Walfänger an, mit dem er in die Südsee reiste und dort allerdings wieder abmusterte. Übrigens wurde die Geschichte der „Essex“ nicht nur in Form der „Pequod“ und ihres besessenen Kapitäns Ahab erzählt. Der in Natucket lebende Autor Nathaniel Philbrick veröffentlichte darüber 2000 das Buch „In the Heart of the Sea“ (Deutsch: „Im Herzen der See – Die letzte Reise des Walfängers Essex“), basierend auf den Aufzeichnungen der Überlebenden.

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Mit dem Ende des Walfangbooms glitt Nantucket vorübergehend zurück in die Bedeutungslosigkeit. Die Werften, auf denen hunderte stolzer Walfangschiffe gebaut worden waren, schlossen, die Kaianlagen verfielen und die meisten Bewohner verließen die Insel um ihr Glück auf dem Festland zu suchen. Bis, Anfang des 20. Jahrhunderts vermutlich, einige Freizeitsegler den morbiden Charme des verlotterten Hafennests neu entdeckten. Bald wurde Nantucket, mit dem großen Naturhafen, der rauen Heidelandschaft und den schönen Stränden, zur beliebtesten Insel an der wohlhabenden US-Ostküste. Die verfallenen Holzvillen der Walkapitäne wurden renoviert und heute strahlt der Ort Nantucket wieder jene diskrete, doch auch unübersehbar wohlhabende Eleganz aus, die für gewisse Gegenden in Neuengland so typisch ist.

 

Dennoch, Nantucket ist eine Spur rauer, vielleicht auch ursprünglicher. Die wunderbaren alten Holzhäuser verwittern meist natur belassen, nur wenige sind gestrichen. Ganz einfach deshalb, weil die Farbe hier, im salzigen und windigen Ozeanklima, ohnehin nicht lange hält. Wesentlich penibler gepflegt wirken da schon die Yachten, die im Hafen ankern. Die Insel hat nicht einen, sondern gleich zwei noble Yacht-Clubs vor denen elegante Motor- und Segelyachten aufgereiht sind wie andernorts die Jollen der Jugendabteilung. Das zumindest von der Lage her schönste Restaurant, vor allem für ein langes und entspanntes Lunch, ist denn auch das „Cru“ ganz vorne auf der Pier, wo die Boote praktisch an den Tischen festmachen und wo man wirklich mittendrin ist im maritimen Leben.

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Statt des Wals ist hier heute übrigens ein anderer Meeresbewohner besonders aktuell: Der Hummer. Lobster gibt es einfach mit allem, nicht nur in der Bloody Mary, als Sandwich, Suppe oder Hauptgericht. Legendär ist der Lobstereintopf von Gwen Gaillard, in der Hauptsache bestehend aus Butter, Sherry, Sahne und natürlich Lobster, der segelnden Wirtin des leider nicht mehr existierenden Kultrestaurants Opera House in Nantucket (heute steht an dieser Stelle das neue Kino). Gwenn war es auch, die einst den Opera House Cup ins Leben rief. An einem heißen Sommerabend im Juli 1973, als sie mit ihrem Restaurantmanager Chick Walsh und vielen Seglern auf ihrer Terrasse saß. Die Drinks flossen, die Gedanken auch – so entstand die Idee eine Regatta nur für Holzboote zu organisieren. „Ich stifte Essen und Trinken und einen Pokal“, soll Gwenn spontan gesagt haben, „ihr Jungs geht raus und besorgt die Boote!“

 

Alles Weitere ist, wie man so schön sagt, Geschichte. Und selbst wenn die wirklichen Berühmtheiten vielleicht in Martha’s Vineyard leben oder, im Falle des Kennedy-Clans, im Sommer in Port Hyannis auf Cape Cod – zum Opera House Cup oder auch nur auf ein Lobstersandwich oder zwei und einen entspannten Tag auf der Insel schauen sie doch alle mal hier vorbei.

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Anreise: Boston wird von der Lufthansa, British Airways und anderen europäischen Fluggesellschaften angeflogen, von dort am besten mit den kleinen Cessnas der Cape Air nach Nantucket; wer mehr vertrauen zu großen Jets hat nimmt einen Flug von Jet Blue.

 

Reisezeit: Im Sommer tobt das Leben auf der Insel, der milde Herbst im September und Oktober gilt vielen Kennern als schönste Jahreszeit hier. Auch um Weihnachten und Sylvester herum ist die Insel noch einmal sehr gut besucht; ganz ruhig wird es dann von Januar bis März; ab Mai beginnt die Sommersaison.

 

Wohnen: Am schönsten im „White Elephant“ am Hafen. Alle Unterkünfte, neben Hotels auch Bed & Breakfast sowie Ferienwohnungen findet man bei www.nantucketlodging.org

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