Nioclás Seeliger, Fotograf und Journalist aus Berlin, wurde 2010 infiziert. Der Polarvirus erwischte ihn bei einem Törn auf der deutschen Brigg „Roald Amundsen“ – auf der winterlich eisbedeckten Ostsee. Trotz vor Kälte steifer Finger wurde dort der Grundstein fürs Verlangen nach Törns ins Eis gelegt. Seit 2012 reiste Seeliger also immer mal wieder in polare Regionen, mit dem „Gefühl, im Kielwasser der einstigen Entdecker zu sein“. „Authentischer als an Bord eines Segelschiffes lässt sich das nicht erleben.“
Seine fünf Reisen in den Jahren 2012, 2013, 2014, 2015 und 2019 präsentiert er in „Eis in den Segeln“, einem schwergewichtigen Bildband in edler Optik: mit stabilem Hardcover und Fadenheftung, gedruckt auf dickem Papier. In chronologischer Reihenfolge beschreibt Seeliger in sechs Kapiteln in kurzweiligen Reportagen mit mancher Hintergrundinformation die Segeltörns durch die berüchtigte Drake Passage und zur antarktischen Halbinsel, nach Spitzbergen, Grönland und zur Bäreninsel.
178 Fotos (in Farbe und Schwarz-Weiß) bebildern die „fotografische Liebeserklärung an die Schiffe und die einzigartigen Paradiese bis 80° 01´ N und 65° 16´ S“. Sie zeigen die vier Großsegler „Antigua“, „Europa“, „Noorderlicht“ und „Rembrandt van Rijn“, die polaren Landschaften, Wale und Pinguine, Eisberge und Eisbären, Walrosse, Polarfüchse und Rentiere. Während die Menschen an Bord der Schiffe in den Texten teilweise wichtige Rollen spielen, tauchen sie auf den Fotos kaum auf.
Jedes Kapitel beginnt mit einer Zeichnung von Thomas Gehre. Lobend erwähnt seien auch die kurzen Infoblöcke zu den Schiffen, das Glossar und das Literaturverzeichnis am Ende des Buches.
„Die arktische Zukunftsmusik klingt in dunklen Moll-Tönen. Auch auf meinen Reisen ins Eis zu Beginn des 21. Jahrhunderts spielte sie im Hintergrund leise Cello, wenn ich mich oft als Katastrophentourist in den weißen Paradiesen mit ihren Eisbären, Walen oder Pinguinen fühlte“, schreibt Seeliger. Mit seinen Fotos greift er diese Molltöne auf und präsentiert die Arktis und Antarktis meist eher düster. In den Texten richtet er ferner mehrfach eine eindringliche Warnung an seine Leser/innen: Nirgendwo sonst auf unserem Planeten ist der Klimawandel so deutlich zu spüren wie im rasant schmelzenden Eis der Polarregionen.
Ja, die Texte im Buch sind nicht gänzlich fehlerfrei und mancher Doppelseite hätten zwei, drei Bilder weniger gestalterisch gut getan. Aber insgesamt ist dem noch jungen DplusA-Verlag in Hamburg ein ansprechender erster Bildband gelungen. Nioclás Seeligers „Eis in den Segeln“ ist eine lohnende Bereicherung jeder Bibliothek eines Polarvirus-Befallenen.
Stefan Schorr