Mit dem Wohnschiff unterwegs

Leben auf dem Wasser, Wohnschiff "Libje", das fahrende Hausboot

Eine Fahrt im Wohnschiff, also einem fahrenden „Hausboot“, durch das Wattenmeer, von den Niederlanden nach Hamburg. Aus meinem Buch „Hafenjahre“

Der 100 PS DAF Motor brummelt kraftvoll unter meinen Füßen. Die Sonne glitzert hell auf den nassen, von dem ablaufenden Wasser der Ebbe frei gelegten Sandbänken beiderseits des Fahrwassers. Jetzt nur nicht auflaufen! Dem gewundenen Wasserweg zu folgen, erfordert Maßarbeit und enorm viel Kurbelei am großen Steuerrad. In den allzu engen Kurven touchieren wir mit unserem herum schwingenden Heck manchmal eine der Pricken, die kleinen Weidenstämme, die den Verlauf des Priels markieren. Aber einen knapp 25 Meter langen, ehemaligen Binnenfrachter auf so engem Raum zu steuern, will eben auch erstmal gelernt sein.

Wir sind auf dem Weg aus den Niederlanden zurück nach Hamburg – in unserem Haus. Mit gemächlichen und Treibstoff sparenden fünf Knoten geht es durch die wunderbare Welt des Wattenmeeres. Wer nicht gerade im Steuerhaus am Ruder sitzt, liegt an Deck und genießt die langsam vorbei ziehende, nasse Zwitterwelt im Wechselspiel zwischen Ebbe und Flut, in der wir uns bewegen. Abends ankern wir irgendwo oder laufen einen der reizvollen Inselhäfen an: Juist, Spiekeroog und dann Wangerooge sind die Stationen auf dem Weg zur Elbmündung.

Voran gegangen war die Fahrt durch die Kanäle Frieslands. Die Entdeckung der Langsamkeit: Fahrräder fuhren an Land neben dem Kanal her an uns vorbei, Fußgänger hielten fast mit uns Schritt und unzählige Enten tummelten sich rund ums Schiff. Ab und zu wurde eine Brücke für uns geöffnet, am ersten Abend ankerten wir auf einem winzigen See in vollkommener Stille unter einem hohen Himmel. Zufriedenheit breitete sich aus über diese angenehme Art des Reisens – und das mit unserem eigenem Haus!

Eine Fahrt mit dem Wohnschiff "Liebe"
Mit dem Wohnschiff am Anleger der Insel Neuwerk… 

Dies war die Überführung unseres Binnenfrachters „Libje“, der Vorgängerin der „Pippilotta“ an der wir überhaupt erst einmal das Konzept des fahrbaren Wohnschiffes austesten konnten, aus den Niederlanden nach Hamburg. „Libje“ war natürlich auch schon eines von den Tausenden bewohnter Schiffe, die es in ganz Europa gibt. Vor allem in den Niederlanden, aber auch in Belgien, Frankreich und Großbritannien sind Wohnschiffe nichts Ungewöhnliches. In London und Paris gibt es ganze schwimmende Stadtteile, in Amsterdam leben sogar gut 2400 Familien an Bord.

„Libje“ hingegen kauften wir auf einem winzig kleinen Kanal mitten in Friesland. Um das Schiff zu drehen, musste man damit erst einmal einige Kilometer weit in die andere Richtung fahren, wo es eine etwas breitere Stelle gab, so schmal war der Kanal. Die Eigentümer des Schiffes hatten mehr als 30 Jahre lang an Bord gelebt und dabei drei Kinder großgezogen. Jetzt waren sie jedoch beide über 70, die Gesundheit ließ nach und sie wollten mit dem Schiff, mit dem sie einst halb Frankreich erkundet hatten, nicht mehr fahren. Nicht mehr fahren hieß für sie jedoch auch, so traurig es sein mochte, nicht mehr darauf zu leben. Ein kleines Häuschen am Kanal hatten sie schon Jahre vorher gekauft und waren sozusagen sanft an Land gezogen; nicht von heute auf morgen oder gar jetzt auf gleich, sondern in Etappen. „Libje“ ist übrigens Friesisch und bedeutet „Leben“. „Es ist doch mein Leben!“, soll die Frau gesagt haben, als sie, in den 1970er Jahren, mit ihrem Mann an Bord zog und ihre Eltern darüber entrüstet waren, dass ihre Tochter nun zu einer maritimen Zigeunerin würde.

Mit dem Wohnschiff in der Haseldorfer Nebenelebe

Dabei hat der Trend zum Wohnen auf dem Wasser doch genau hier, in den Niederlanden, begonnen. Und zwar Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre, als Wohnraum an Land knapp war und viele Frachtschiffe ungenutzt aufgelegt wurden. Einen weiteren Schub erlebte die schwimmende Wohnkultur in den 70er Jahren, als Hippies das Leben auf alten Hulks als beste – und auch billigste – Alternative zu herkömmlichen Wohnstrukturen entdeckten. Heute ist das Leben auf einem Wohnschiff jedoch alles andere als einfach oder gar billig. Die Liegeplätze in den europäischen Metropolen sind gefragt und teuer, und viele Wohnschiffe sind phantasievolle und technisch aufwendige Umbauten, die so manch ein Designerloft in den Schatten stellen.

Unser Schiff wurde ebenfalls in den frühen 70er Jahren zum Wohnen umgebaut. Im Laderaum entstand eine kleine Wohnung mit großem Wohnraum, Küche, Kinderzimmer und Bad. Die Kajüte der früheren Schiffersfamilie im Heck blieb fast original erhalten und dient jetzt als Schlafzimmer, das Steuerhaus wird im Hafen als Büro, Frühstücksraum und Wintergarten genutzt. Das Schiff ist mit moderner Haustechnik ausgerüstet: Neben dem gemütlichen Kaminofen gibt es zum Beispiel eine Zentralheizung, oder auch eine Waschmaschine. Der Wassertank reicht bei normaler Lebensweise gut eine Woche lang, unterwegs bei sparsamen Gebrauch sogar einen Monat. Und zur Entsorgung haben wir ein Bordeigenes Klärwerk eingebaut, das nach biologischem Prinzip ohne Strom funktioniert und von vielen Schifffahrts- und Umweltbehörden empfohlen wird.

So gesehen, ist uns das Schiff im Hafen vor allem eins: Ein manchmal sanft schwankendes Haus mit unverbaubarem Wasserblick. Aber dann ist es eben auch ein autarkes Schiff. Wenn wir auf Reisen gehen, wird nichts gepackt und nichts vergessen. Wir ziehen lediglich die Telefonleitung aus der Dose, kappen die Landstromversorgung und werfen die Leinen los – eine Sache von wenigen Minuten. Unterwegs generieren Maschine und Generator genug Strom, telefoniert wird mit dem Handy, Kühlschrank und Kocher werden mit Propangas betrieben. Und sehr bald werden wir auch noch eine große Solarzellenfläche auf dem Dach des Steuerhauses installieren.

Man merkt an Bord, wo die Energien und Ressourcen herkommen und das sie alle endlich sind. Hier kommt der Strom eben nicht aus der Steckdose, sondern aus dem Generator und den Batterien. Und wenn die Wassertanks leer sind, gibt es kein Trinkwasser mehr. Das Gas kommt aus den Flaschen an Deck. Um all das muss man sich kümmern, man nimmt es nicht mehr als so selbstverständlich hin. Und geht automatisch weniger Gedankenlos mit Trinkwasser und Energie um.

Unübertroffen und unvergesslich war auf dieser Überführung aus Friesland jene magische Nacht, die wir trocken gefallen im Watt vor Neuwerk verbrachten. Von Westen kommend, waren wir mit dem auflaufenden Hochwasser über so manche Wattrücken gerutscht, hatten aber auch die Mündungen der Jade und Weser überquert. Dann kenterte die Tide, das Wasser fiel, und wir fuhren einfach so lange weiter, bis wir sanft, aber unmissverständlich aufliefen: Für die nächsten Stunden war Schluss. Das Wasser lief rasch ab, bis um uns herum nur noch Sand und Schlick zu sehen war. Beim abendlichen Niedrigwasser wanderten wir über die Sände, auf denen unser holländisches Plattbodenschiff sicher und aufrecht wie ein Kirchturm stand. Die glühende Abendsonne färbte den nassen Sand blutrot, während am Horizont Containerriesen wie schwarze Scherenschnitte wirkten und im Fahrwasser der Elbe stromauf glitten. Über all dem blinkte das Leuchtfeuer von Neuwerk und noch lange standen wir schweigend dort, wo in wenigen Stunden wieder Wasser sein würde, und betrachteten unser Schiffshaus in dieser einzigartigen Umgebung.

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Meine Bücher

Detlef Jens – Im Kielwasser des Geldes. Ein Segel-Krimi aus Hamburg
Detlef Jens – Gefährliche Gezeiten. Ein Segel-Krimi aus der Bretagne
Detlef Jens – Black Jack. Ein Segel-Krimi
Detlef Jens – Hafenjahre, Leben an Bord
Detlef Jens - Land's End. Ein Segelbuch über das Leben an Bord

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