Allein auf See: Was treibt Menschen dazu an, völlig allein über Ozeane zu segeln? In diesem umfassenden Werk über das Alleinsegeln auf hoher See wird diese Frage nicht beantwortet. Aber wir bekommen eine Vorstellung von den vielen unterschiedlichen Gründen, aus denen heraus so viele unterschiedliche Menschen auf so unterschiedliche Art alleine die Weltmeere besegelt haben. Und es immer noch und immer wieder tun.
Dieses Buch ist eine umfassende Chronik des Alleinsegelns in der Moderne, also etwa seit Joshua Slocum, der ja zumindest der erste Alleinsegler ist, dessen Reise um die Welt (von 1895 bis 1898) in seinem Buch „Alleine um die Welt segeln“ vollständig dokumentiert ist. Der ausführlichen Chronik am Ende dieses Buches jedoch können wir entnehmen, dass auch vor ihm schon etliche Alleinsegelnde auf See unterwegs waren. Nicht nur der irische Mönch Brendan, der um das Jahr 520 herum vermutlich lange Segelreisen auf dem Atlantik unternommen hat. Auch ein gewisser Josiah Shackford beispielsweise, der im Jahre 1787 (oder um diese Zeit herum) alleine von Frankreich nach Surinam gesegelt sein soll. Oder John Macgregor, der 1867 alleine über den Ärmelkanal segelte und darüber das Buch „The Voyage Alone in the Yawl Rob Roy“ verfasste. Und noch einige mehr …
Auf fast 500 Seiten wird hier alles, was für das Thema ‚Alleinsegeln’ (auf den Ozeanen) relevant ist, detailreich und authentisch beschrieben, denn es ist ganz offenbar auch sehr gründlich recherchiert. Schon alleine deswegen ist dieses Buch ein wertvolles Werk, denn der Autor hat auf diesen vielen Seiten wirklich nichts und vor allem niemanden ausgelassen. Soweit ich das beurteilen kann.
Seine eigene Einhand-Atlantiküberquerung von West nach Ost bietet dabei einen erzählerischen Rahmen für die vielen Geschichten und Hintergründe über das Alleinsegeln. Wir Lesende lernen Neues von bekannten Ikonen des Ozeansegelns und entdecken bisher eher unbekannte, aber dafür umso interessantere Figuren. Darunter auch deutsche Segler:innen; bekannt sind natürlich Astrid und Wilfried Erdmann sowie Astrids Mutter Ingeborg von Heister, die mit ihrem Trimaran zweimal alleine über den Atlantik segelte. Aber noch nie hatte ich vor der Lektüre dieses Buches von Edith Baumann gehört, die im Sommer 1968 die weltweit erste Frau war, die an einer Einhandregatta teilnahm (dem OSTAR). Im Buch heißt es: „Sie musste vor den Azoren aus der Rettungsinsel abgeborgen werden, nachdem ihr Trimaran im Sturm auseinandergebrochen war. Auch ihr Landsmann Egon Heinemann erreichte nicht das Ziel. Dieses Schicksal teilten sie mit vielen weiteren Teilnehmern, die es mit schweren Stürmen und Windgeschwindigkeiten von mehr als sechzig Knoten zu tun bekamen. Nur achtzehn von fünfunddreißig gestarteten Einhandseglern kamen heil über den Atlantik. Zu ihnen zählte der Deutsche Claus Hehner, der für die Reise genau vierzig Tage benötigte und später zahllose weitere Einhandregatten bestritt. Er gehörte auch zu den Gründungsmitgliedern des Vereins »TransOcean« zur Förderung des Hochseesegelns.“
Und weiter: „Im Herbst 1969 – Ingeborg, Astrid und Wilfried waren mitsamt ihren Booten wieder in Gibraltar, das Golden Globe Race war beendet und Crowhurst verschollen – stand ein Mann namens Walter König kurz davor, seine Weltumseglung via Mittelmeer abzuschließen. König, der unter Leukämie litt und wusste, dass ihm nach seiner Rückkehr nicht mehr viel Lebenszeit blieb, war mit einem offenen Rettungsboot losgefahren, dem er ein provisorisches Dach und den Namen Zarathustra verpasst hatte.“
Andere Reisen werden ausführlich erzählt, andere Themen intensiv behandelt. Da geht es um junge Weltumseglerinnen wie Laura Dekker, Jessica Watson und Abby Sunderland – oder Robin Lee Graham, Tania Aebi und andere – auch das alles faszinierende Geschichten. Oder um Fragen der Ausrüstung, um das ewige Diskussionsthema nach dem (fehlenden) Ausguck auf See, um Kollisionen und andere Unglücke, um Wind und Wetter und um weiße Männer, die mit der Einstellung von Kolonialherren um die Welt segelten.
Es sind immer wieder faszinierende Einblicke in einsame Seelenwelten zu erkennen sowie auch zeitliche Zusammenhänge – wer sich vermutlich von wem hat inspirieren lassen, welche zeitgeistigen Stimmungen solche Reisen eher befördert haben, wie sich das Alleinsegeln über die Jahrzehnte entwickelt hat. Vor allem aber geht es immer wieder um die Segelnden selbst, und um die letztendlich nicht zu beantwortende Frage: Warum?
Kurzum, dies ist ein „must-read“ für alle, die sich für das Segeln, Ozeansegeln und Alleinsegeln begeistern und die mehr über solche Abenteurer:innen wissen möchten.
Der Autor Richard J. King promovierte an der Universität von St. Andrews mit einem Schwerpunkt in Meeresliteratur und Kreativem Schreiben. Derzeit ist er als Professor für Maritime Geschichte und Literatur an der SEA Education Association in Woods Hole, Massachusetts, beschäftigt. Seit 30 Jahren segelt er auf dem Pazifik und dem Atlantik, letzteren überquerte er 2007 alleine auf einem 8,7 Meter langen Segelboot.
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