An manchen Tage fühle ich mich, als bräuchte ich dringend eine Renovierung. Einen Refit, sozusagen, eine Verjüngungskur könnte man auch sagen. So ist es also, wenn man sich alt fühlt. Oder es sogar ist. Bin ich deshalb ein Klassiker? Dazu gehört dann doch noch etwas mehr. Alt zu sein ist, für sich genommen, leider noch keine Tugend.
Anständig gebaute Boote halten ja meist länger als Menschen. Eines der schönsten Beispiele dafür ist die wunderschöne Spreizgaffelketsch „Senta“, die nun schon seit vier Generationen im Besitz einer Familie ist und die immer noch eifrig gesegelt wird. Gebaut wurde sie 1928 nach einem Entwurf von Max Oertz in Kiel, noch als Gaffelketsch. Die auffällige Takelage mit der Spreizgaffel bekam sie 1936 bei Abeking & Rasmussen. Klassischer, sollte man meinen, geht es kaum.
Das dürfte so ziemlich Konsens unter Segler:innen sein. Das nämlich solche Yachten wie die „Senta“, oder auch eine Meter-Klasse Yacht aus den 1930er Jahren oder ein Schärenkreuzer aus den 1920ern oder, ja, natürlich auch ein Nordisches Folkeboot in der markanten Klinkerbauweise, allesamt Klassiker sind.
Eine „Breehorn 37”, gilt sicher als GFK-Klassiker. Bild oben: Eine Swan auf der Crews Week 1979, natürlich auch ein Klassiker…
Was aber ist mit all den GFK Booten? Viele davon sind ja auch schon echt alt, die ersten tauchten in den 1960er Jahren bei uns in Deutschland auf. Welche davon sind Klassiker? Der Baustoff ist jedenfalls kein Kriterium. Nicht alle Holzboote sind Klassiker, nur weil sie aus Holz sind. Und nicht alle GFK Boote sind – ja, was? Ebenfalls kein Kriterium sollte die Anzahl der gebauten Einheiten sein. Serienboote als Klassiker – warum nicht? Viele Autos gelten als Klassiker, und die wurden in noch größeren Stückzahlen gebaut. Wobei Geschmack und Stil hier wie dort, bei Booten und bei Autos, Fragen sind, die niemals final ausdiskutiert werden können. Was ist zum Beispiel mit einem Opel Manta aus den 1970er Jahren? Schon damals war es ein Objekt des Gespötts für die einen, man denke nur an die vielen Manta-Witze, für die anderen hingegen das reine Kultfahrzeug. Was wäre analog dazu das passende Boot – eine Klepper Fam, vielleicht? Erinnert sich noch jemand daran? Knallorange im Stil der damaligen Zeit, gestylt eher wie ein not-gewassertes UFO, aber als Backdecker mit mehr Platz als andere Boot dieser Größe. War sie typisch für ihre Zeit? Und könnte sie damit als Klassiker gelten? Oder eine Maxi 77 von Pelle Petterson, oder eine der ersten Bavarias, die 707 etwa?
Eine Baltic 42 auf der Nordseewoche 1978. Noch ein Klassiker…
Die beiden letztgenannten Bootstypen sahen sich übrigens verdammt ähnlich. Und begründeten damit vielleicht schon einen Trend, der heute besonders ausgeprägt ist. Dass nämlich viele Boote des Mainstreams kaum noch unterscheidbar sind. Weil die wohl eher nach Marketing-Kriterien entworfen werden, denn aus Leidenschaft. Mein früherer Kollege Andrew Bray, damals Chefredakteur der Zeitschrift „Yachting World“, nannte solche Boote schon in den 1990er Jahren „AWB“ – Average White Boats, also durchschnittliche weiße Boote. Conny Kästner, Eigner einer durchaus als klassisch geltenden Norlin 37, schrieb dazu im Mitteilungsblatt des Vereins der GFK-Klassiker: „Die verschiedenen Bootstypen sind kaum noch auseinander zu halten! Sie werden von verschiedenen Werften angeboten, ähneln sich aber verblüffend, bis hin zur Verwendung von gleichen Rümpfen, die dann mit verschiedenen Marken vom gleichen Bootsbaukonzern angeboten werden. Eindeutig eben, aber auch sehr gleichförmig und beliebig, und so werden solche Boote sicher nicht das Potential entwickeln, einmal als Klassiker gesehen zu werden. Die klassische Yacht hingegen zeichnet sich durch eine gewisse Einmaligkeit aus, die sich daraus ergibt, dass die Erschaffer der Entwürfe eigene Persönlichkeit, Erfahrungen, Vorlieben und ihren persönlichen ‚Geschmack‘ eingebracht haben.“
Und noch einmal die Breehorn 37
Es bleibt ein spannendes Thema für endlose Diskussionen. Bald gibt es auch ein Buch dazu, über die Kunststoffboote des 20. Jahrhunderts. Herausgegeben vom erwähnten Verein GFK Klassiker, die hier genau ihr Kernthema behandeln, erhältlich ist es demnächst über die Webseite des Vereins. Welche dieser Boote jedoch als Klassiker gelten könnten und welche eher nicht, kann auch hier nicht abschließend geklärt werden. Natürlich nicht, möchte ich anfügen.
Nur eines ist leider gewiss: Ganz egal, wie alt ich mich morgens manchmal fühle – ein Klassiker bin ich deswegen nicht. Auch, wenn der Kater nach einem ausschweifenden Abend zuvor durchaus als klassisch gelten könnte …