Jede:r ist eine Insel.?

Eine Insel bedeutet für mich immer Freiheit, trotz ihrer strikten, nicht diskutierbaren, höchstens von Ebbe und Flut verschiebbaren geografischen Grenzen. Aldous Huxley war sicher nicht der einzige Literat, der auf einer Insel eine gesellschaftliche Utopie angesiedelt hat. Dabei könnte man auf einer Insel theoretisch auch in der Realität seine eigene Republik, gar Königreich oder wenigstens ein Fürstentum ausrufen, so wie es die Familie Bates mit der ehemaligen Flakinsel Sealand vor der Themsemündung getan hat.

Einmal wollte ich eine Insel in der Bretagne kaufen, wenn auch nicht aus diesem Grund, aber eine interessante Erfahrung war es dennoch. Natürlich konnte der Makler nicht sagen, wie viele Quadratmeter Fläche das Eiland habe – bei Ebbe das Vier- bis Fünffache dessen, was es bei Hochwasser war. Als Hamburger und früherer Elbsegler konnte ich das Konzept natürlich begreifen, aber für andere potenzielle Kunden muss es irgendwie abschreckend gewesen sein. Das, und auch die nur zeitweilige Erreichbarkeit der Immobilie. Bei Ebbe gab es eine Furt, bei Springtiden sogar einen trocknen Weg zwischen den Felsen hindurch, die dort bei Niedrigwasser überall schwarz und feucht und furchterregend in die Höhe ragen. Bei Flut hingegen gab es kaum einen für ein Boot geeigneten Landeplatz, ebenso wenig übrigens wie für einen Helikopter, wegen des wunderschönen, alten und dichten Baumbestandes oberhalb der Hochwassergrenze. Für Millionäre als Käufer fiel die Insel daher schon mal aus, und aus dem eben genannten Grund der problematischen Erreichbarkeit auch für Hasenfüße und andere zivilisationsgeschädigte Couch-Kartoffeln. Schwer zu verkaufen also, und am Ende sprang auch ich wieder ab – leisten hätte ich es mir ohnehin nicht können.

Was aber viel schwerer wog als die fehlende finanzielle Potenz: Eine einzige Insel als quasi finalen Ankerplatz wählen? Wo mir doch fast alle Inseln der Welt zu Füßen liegen? Wo ich doch per Boot, meinem natürlichen Habitat und Fortbewegungsmittel der ersten Wahl, so ziemlich jede Insel der Welt auf eigenem Kiel erreichen kann? Das ist natürlich die weitaus bessere Wahl. Ich kann bleiben, solange die Insulaner mich tolerieren, und ich kann das Weite der See suchen, wenn es nicht passt.

Das passiert mir nicht oft, aber wenn, dann bleibt es haften im Gedächtnis. Eines schönen Frühlingsabends ankerten meine damalige Komplizin und ich mit unserem damaligen Katamaran vor Osea Island, tief drinnen im River Blackwater an der englischen Ostküste. Dunkel und Geheimnisvoll lag die Insel zum Greifen nahe und wir

beschlossen, hinüber zu rudern und sie uns anzusehen. Und dunkel und geheimnisvoll wird sie für immer in meiner Erinnerung bleiben. Unbedarft paddelten wir in der Dämmerung an Land und marschierten Neugierig auf der Insel umher, bis wir auf ein richtiges kleines Dorf stießen – na ja, zumindest eine Ansammlung verschiedener bewohnter Häuser. Wir fanden sogar einen knallroten Briefkasten der „Royal Mail“, dessen Entleerungszeiten als „Abhängig von den Gezeiten“ angegeben waren. Auch diese Insel ist durch einen nur bei Ebbe trocknen Fußes begehbaren Damm mit dem Festland verbunden.

Hinter einigen Fenstern brannte Licht, dennoch ließ sich keine Menschenseele blicken. Bis wir wieder zu unserem Dinghi am Strand zurück wollten und dabei an einem herrschaftlichen Landhaus vorbeikamen. Eine alte Lady hatte uns wohl aus einem der hohen Fenster heraus erspäht und kam festen Schrittes auf uns zu. Waren wir womöglich gerade dabei, quer über ihren Crocketrasen zu latschen? Wie immer, wenn man sich in England…

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Meine Bücher

Detlef Jens – Im Kielwasser des Geldes. Ein Segel-Krimi aus Hamburg
Detlef Jens – Gefährliche Gezeiten. Ein Segel-Krimi aus der Bretagne
Detlef Jens – Black Jack. Ein Segel-Krimi
Detlef Jens – Hafenjahre, Leben an Bord
Detlef Jens - Land's End. Ein Segelbuch über das Leben an Bord

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