Georg Dibbern: Um Kap Horn – Bramsails fast!

Um 1920 herum verfasste Georg Dibbern, geboren 1889 als Sohn eines Kapitäns, einige Kurzgeschichten über seine Zeit als Seemann an Bord des Segelschiffes Pamelia. 1908 umrundete er mit diesem Vollschiff, einem der berühmten „Flying-P-Liner“ Kap Horn, dann heuerte er in Sydney ab und hielt sich einige Jahre in Australien und Neuseeland auf. Auch aus dieser Zeit stammen einige Kurzgeschichten von ihm, die meisten bis heute unveröffentlicht, einige vor vielen Jahrzehnten in „Die Zeit“ veröffentlicht. Diese Geschichten zeichnen nicht nur weitere Facetten des Autors selbst (mehr über ihn hier), sondern es sind auch authentische und unverfälschte Zeitdokumente aus den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts. Veröffentlicht hier dank der Hilfe der Nachlassverwalterin Erika Grundmann und mit der Erlaubnis der Familie Dibberns. 

Bild: Flying-P-Liner „Peking“ (Wikimedia)

Hier der Text von „Bramsails fast!“

Unten am Kap Horn lauerte der Südwest, um den Schiffen den Weg nach der Westküste zu versperren und sie auf die Klippen zu treiben. Er hatte erst gute Beute gemacht, so verpustete er sich, um später mit verstärkter Gewalt losbrechen zu können.

Das nahm der Nordost noch schnell wahr, er trieb die Schiffe gen Süden. Nicht alle verstanden die Chance zu nutzen, manche nahmen Segel fort und fluchten über den Sturm. Nicht so der Alte von der Pamelia. Er hatte Strecktaue kreuz und quer über Deck spannen lassen, damit die Leute jederzeit Halt bei überkommenden Seen finden konnten. Jetzt ging er auf dem Achterdeck auf und ab, Holzklunschen and den Füßen, die Hände in den Taschen, mager, gelb, die Knochen voll Rheumatismus. Er steckte die Nase in den Nordost; und rieb sich die Hände.

“Good so, Junge und beter bi!”rief er dem Wind zu. “So geiht he good!”

Dann roch er gegen Südwest, ließ seine scharfen, klaren Augen an der Kimm entlang gleiten, nickte und sah über die See und auf die Segel.

Durch die See schnob die schöne Bark, wie ein Pferd, das endlich den Kopf für den Entscheidungskampf frei haben will.

“Du schalst din Willen hebben, Deern! Bramsails los!”

Bis an die Hüften standen die Leute im Wasser, die ganze Leerehling war überspült, sie murrten, aber sie heissten das Segel, denn sie waren stolz, daß sie mit ihrer kleinen Bark andern größeren Schiffen, sogar einem Postdampfer, vorbei liefen. Jetzt war alles, was nur irgend riskiert werden konnte, an Segeln gesetzt.

“Jungs, dat is uns Chance, dat is uns Chance!”
Die ganze Nacht standen sie klar mit beiden Wachen. “Achtung! Klar bi de Fallen!”

Dann brauste die Bö heran.

“Noch nich!….Noch nich!”……. die Gefahr war vorüber. Noch eine Bö kam und immer wieder eine. Das Schiff zitterte, wild schnob es durch die finstere Nacht. Der Morgen kam, stärker wurden die Böen. Das Aussenklüverstag brach, in tausend Fetzen flog das Segel davon, die Reste mußten geborgen werden. Da kämpften sich die Leute auf den Klüverbaum hinaus, mehr unter als über Wasser arbeiteten sie eine ganze Stunde, dann hatten sie es geschafft. Da brach der Fockhals. Unter Geknatter, Geschrei und Windsgeheul wurde das Segel festgemacht, ein neuer Wire eingescheckelt und das Segel wieder gesetzt. Sechs Mann wusch eine See von der Back längs Deck, wo sie sich zerschunden, zerquetscht und zerschlagen zusammensammelten und immer noch stand der Alte mit dem Rest der Leute klar bein den Fallen un ließ keinen Fetzen wegnehmen, um das Schiff vom Druck der Segel zu erlösen.

“Jung düt is uns Chance, dat is uns Chance!”

Dann roch er nach Norden und wieder nach Süden, keine Wolke, keine Welle entging seinen Augen. Neue Böen, “klar bi de Fallen” sie setzte ein, daß man denken konnte alles käme von oben.

“Jonny, die Lüt denkt ick bün verrückt, wat denkst du von din Kaptain?”
“Sie müssen doch wissen, wie zu segeln ist. Dafür sind Sie doch Kaptän!”
“Gut, Jonny, dat is noch mal en vernünftige Antwurt. Noch ein paar Stunden, dann sind wir soweit.

Klar achtern auf und bring den Leuten ‘n Schnaps.”
Achter lag alles drunter und drüber, es dauerte was, bis der Junge da Ordnung geschaffen. Er fand noch allerlei Ess Sachen für seinen Freund Herrmann, trat vor die Tür und winkte ihm.
“Komm, ich hab noch was für dich!”
Hermann war wie alle Janmaaten zu jeder Zeit bereit, was es nur gab, in seinen Magen zu verstauen. Mit Behagen und Hunger kaute er mit vollen Backen.
“Mensch, Gorch, war das ‘ne Nacht! Hast du gesehen wie vorn das Stag brach? Ach du warst ja überhaupt mit draußen…das war tüchtig von dir…sowas ist Mannesarbeit. Junge, Junge, flogen die Funken, wie der Schotring gegen die Bordwand knallte. Aber laß man, der Alte kann verdammt segeln!” Glaubst du, daß es noch lange so anhält?”

“Ne, du, wir könnten wohl schon rumgehen, aber der Alte will wohl erst den Wind austoben lassen, zu weit West kann man hier unten gar nicht kommen.”

“Wie genau du Bescheid weißt!” Gorch sah voll Liebe und Bewunderung auf seinen Freund. Dieser schob in einem Törn ein Stück nach dem andern in den Mund.

“Das lernt man,” er sagte es mit einem gewissen Stolz, “heute soll mir einer kommen, aber wie ich wie du an Bord kam da hatte ich richtig Angst vor all den Tauen. Wie sollt man da in dunkler Nacht nur das richtige Ende finden?! Und wenn beim Wenden die ganzen Segel schlugen, Mensch, ich wußte kaum was vorn und achtern war. Hast du noch was da? Nein?…Schade. Na, …ja weißt du…aber heute soll mir einer kommen!…Schade, daß du nichts mehr hast, es war nett von dir an mich zu denken.”

Durch dieses Lob fiel Gorch plötzlich ein, daß er doch noch Pudding für sich selbst zurückgestellt hatte, Pudding, den er sich vom Alten für tüchtige Arbeit verdient. Er schämte sich, dies dem Freunde verheimlicht zu haben.

“O, doch, da fällt mir ein, ich hab’ ja noch was, wart, ich will es dir holen!”
“Bramsails fast!!”
“Siehst du, da geht es schon los, der Alte läßt schon Segel wegnehmen, er riecht den andern Wind.

Ich will nur schnell das Segel festmachen, gleich bin ich wieder unten. Er gab dem Freunde die Hand und enterte auf, um das Segel fest zu machen. Waldemar und Fiede gingen mit, Gorch wollte auch mit, er zögerte einen Augenblick, jetzt waren ihm die andern zuvor gekommen, und da der Alte ihn rief, so ging er in die Kajüte. Der Kapitän zeigte ihm, wo sie waren.

“So, nun gehen wir bald rum, der Südwest kommt mit’n mal durch, dann heißt es flink sein. Stau alles pall, damit nichts ins Rauschen kommt.”

Gorch kämpfte sich durchs Wasser zur Kombüse, um heißes Wasser zum Abwaschen zu holen. Unweit der Kombüse schwamm er plötzlich in einer blutroten Welle, sie kam von vorn. Den Tieren ist was passiert, war sein erster Gedanke. Er lief nach Achtern, um Bescheid zu sagen. Auf halbem Wege, mitten in dem Branden der See, kam er gegen den Ersten.

“Da is en vun ooben kamen,” brüllte der ihm ins Ohr. “Kumm gau mit!”

Einer von oben gekommen? Was hieß das? Sie kämpften ihren Weg nach vorn, fast hätte eine See den Jungen über Bord gespült, hätte der Erste ihn nicht eisern am Ölzeug gepackt. Wie die Wasser abliefen, hingen sie in den Riggen. Unten an Deck, zwischen den Pollern eingeklemmt, lag jemand blutüberströmt. Noch zwei Mann kamen, zu vieren trugen sie ihn achteraus… Hermann!

Herrmann? Gorch konnte es nicht fassen, er hatte doch gerade noch mit ihm gesprochen und ihm die Hand gegeben. Komisch, sonst sagte er immer nur “goode Wach” oder “moin so lang”. Ihm viel wieder ein, daß er ihm die Hand gegeben. “Ich bin gleich wieder unten”, hatte er gesagt. Ja, jetzt war er unten, lag vor ihm zerschmettert… das braune Haar… der kecke Schnurrbart… das Gesicht…Herrmann!

“Dat is vörbi, da ist jede Kunst vergebens,” sagte der Alte. “Lat em so liggen, hol de Flagg und deck em to. Wär en fixen Bengel. Is dat Sail fast?” wandte er sich an den zweiten.

“Ne, die beiden andern trauen sich nicht raus und hocken am Mast.”
“Denn schicken Se ‘n Mann rop!”
Gorch hatte alles wie im Traum gehört. So, die andern waren Schuld daran? Natürlich hatten sie

Herrmann allein gelassen, da konnte er das Segel nicht halten und… schon war Gorch draußen, um
nach oben zu gehen. And der Mars überholte er Peter den der Zweite raufgeschickt hatte, er rief ihn zu: “Laten se man Peter, dat is min Arbeit.” Der wars zufrieden, sagt: “Denn man to” und stieg hinab.

Nach oben klettert Gorch, traf Fiede und Waldemar sich noch immer krampfhaft am Mast haltend. Der Sturm heulte und das Segel schlug. Das Schiff holte von einer Seite zur andern, der Mast beschrieb große Kreise und die Rah ruckte von dem schlagenden Segel hin und her. Gorch schlug die beiden in de Fresse. “Anfaten! Anfassen!”

Das half, sie kriegten die Mitte fest. “Ich geh allein nach Luv, geht ihr nach Lee!”
Er brüllte es ihnen in die Ohren. Aus Furcht vor seiner Faust gehorchten sie. Dort, wo Herrmann noch vor kurzem gearbeitet, dahin ging der Junge, raus bis auf die Nock. Sein Südwester schob sich ihm immer ins Gesicht, er riß ihn ab und ließ ihn fliegen. Es galt, Herrmann die Treue zu halten. Wäre er mit Herrmann gegangen, es wäre nicht passiert, jetzt mußte er die Arbeit beenden. Über ihm stand, wie ein Ballon, das Segel. Die Rah fuhr durch die Luft, fast war es, als ob mitunter die See berührte, dann wieder, als ob sie ohne auf zu hören in den Himmel fliegen wollte.

Das Segel flackerte, jetzt galt es. Gorch stand breitbeinig im Pferd, einem Drahtseil, das unter der Rah hängt. Die eine Hand hatte er durch einen Haltestropp geschoben, vergebens bemühte er sich, das Liek und die Bucht auf die Rah zu kriegen, zwei Törns mit dem Zeising hatte er. Jetzt! Das Segel killte. Jetzt! Er riß die Hand aus dem Stropp, arbeitete mit beiden Händen und legte sich auf die bezwungene Leinewand. Der Sturm setzte zu früh ein, der Zeising war noch nicht fest, ein Knall, der Sturm riß das Segel wieder in seine Gewalt. Er schmiß den Jung von der Rah, wie er auch Herrmann hinabgeschleudert, doch im Fallen griff Gorchs Hand nach dem Stropp und hielt eisern.

In diesem Augenblick spring der Wind plötzlich um, der Südwest war auf gewacht und fing an zu toben. Die Segel schlugen back, die Masten zitterten und stöhnten, als ob sie brechen mußten. Gorch Hansen hing an einer Hand hoch oben und pendelte im Kreisen durch die Luft. Unter sich sah er die Seen über das Schiff branden; jetzt ragten nur die Masten aus dem Wasser heraus. Drei Masten mitten aus dem großen Meer. Dann war es wie ein Abschütteln und das Schiff kam wieder hoch. Aalles das sah er, während er dort oben hing und es war als ob er daneben stände und sich selbst betrachte.

Seine Hand fing an zu schmerzen, er besann sich, griff mit der andern Hand nach dem haltenden Arm, zog sich hoch— das war schwer mit dem Ölzeug und den Seestiefeln— griff mit der Hand schnell nach, setzte sich ins Pferd und rutschte an den Mast, wo er sich festklammerte und die Augen schloß. Also so war es mit Herrmann gewesen, nur er war gefallen, auf die Rehling und die Eisenpoller aufgeschlagen, da hatte er nichts mehr gespürt. Das Sterben war nicht schlimm. Dies dachte er, während das Schiff wieder an dem Wind und auf den neuen Kurs gebracht wurde. Gorch fühlte sich flau, ihm zitterten die Kniee, doch das schlagende Segel erinnerte ihn an seine Pflicht. Er warf den Kopf zurück und ging ein zweites Mal auf die Rah. Ein zweites, ein drittes Mal kämpfte er mit dem Sturm um ein Stück Leinewand, das seine und Herrmanns Ehre war, hätte bis in alle Zeiten gekämpft. Da bezwang er es, machte seine Seite fest, ging zu den andern, trieb sie hinunter, machte auch ihre Seite fest, setzte sich frei auf die Rah und verspottet den Sturm: “ Wat wullt du nu? Döller, du kannst ja nix! Is dat wat! Blas mich doch runter, die Schietkerl! Min Sail hev ick doch fast kregen! Auf ein ander Mal Gevatter, einmal bestimmt, aber nicht heute! “ Mit heißem Kopf ging er hinunter.

„Dat het ja bannig lang duert, Jonny,“ sagte der Alte,“wul he nich?“ Er sah den Jungen von der Seite an. „Geh man runter und räum weiter auf…so geiht he good, Jonny, immer hart an de Wind. Nix vergeben Jonny, nix vergeben!“ Es lag Stolz in seiner Stimme.

Unten nahm Jonny Herrmanns Hand. Der Sturm hatte genug, auch die See wurde ruhiger. In der Nachtwache schlich sich Gorch wieder zu seinem toten Freunde. Erst was es ihm unheimlich allein mit einem Toten zu sein, eine eigentümliche Kälte lag in dem Raum. Doch er dachte an ihre gemeinsame Freundschaft, was würde ihm der Tote tun, der ihm im Leben so gut Freund gewesen, er mußte lächeln. Er setzte sich zu ihm und hielt seine Hand. Der Freund hatte noch eine Mutter und Schwester zu Haus, hatte einen Vater der Kapitän war und an der chilenischen Küste fuhr, die würden vergebens warten. Er prüfte sich selbst und seine Freundschaft. Sein Gewissen stritt noch eine Weile, dann mußte er auf Ausguck, hier zwischen Wind, Meer und Sternen wurde er ruhig.

Am nächsten Tag war die See glatter und das Wetter schön. Der Segelmacher nähte Herrmann ein, Jonny durfte helfen. „Damit du das lernst,“ meinte der Alte.

Zu Füßen bekam der Tote einen alten Scheckel, dann legten sie ihn auf eine Planke und deckten die Flagge darüber. Kurz vor zwölf ließ der Alte die Vorrahen backbrassen, damit die Fahrt aus dem Schiff kam, und alle Mann gingen achteraus.

„Ja,“ sagte der Alte, „dat he dot is, weet ji, heute er morgen uns Törn. Wi wüll noch mal beden und em denn up die letzte Reis schicken. He wär en fixen Bengel!“

Sie nahmen die Mütze ab, wie sie es in der Kindheit gelernt hatten. Jeder betete nach seiner Art. Der Sailmaker, Peter, Jonny und die andern. Wie sie fertig waren, stimmte Hein Kohrs einen Schanty an, in den die andern einfielen.

Sail away for Rio….Sail away for Rio! Now you’ll have always fair breeze, mate To sail for Rio…i…o!

Zwei hoben das Brett am Kopfende hoch, zwei hielten die Flagge, darunter raus rutschte der Tote…über Bord…und in die See.

Ein letzter Blick, ein Winken…“Slap moie, Herrmann!“….
„Vörrahs rund, affallen!“ kommandierte der Alte. „Up dat Ro’er!“

Blow boys blow, for California
For there’s plenty of gold, I have been told
On the banks of the Sacramento!…. sang Hein Kohrs.

Die Pamelia machte wieder Fahrt voraus, Waldemar und Fiede brachten das Schaffen ins Logis, Gorch das Essen nach Achtern. Ja, Jonny, sterben müßen wir alle, dann aber doch besser hier auf der freien See mit Wind und Wellen.“

Abends konnte Gorch nicht schlafen, er wartete auf Herrmann, daß er sich in seine leere Koje legen sollte. Draußen ließ Hein Kohrs seine Harmonika spielen…

In dem gleichen Sturm scheiterte unten bei Puntas Arenas der Küstendampfer Valladolid und ging mit Mann und Maus unter. Der Kapitän des Dampfers war Herrmanns Vater.

Die Pamelia brauchte nur vierzehn Tage, um um die Horn zu kommen und erreichte Valparaiso in Rekordfahrt.

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