„Blau gemacht“ heißt das Buch, welches Anke und Uwe Müntz über eine ungewöhnliche, und wohl auch ungewöhnlich schöne Segelreise veröffentlicht haben: 8000 Seemeilen im Atlantik, nach Island im Norden, Marokko im Süden und den Azoren im Westen; insgesamt 500 Tage waren sie damals unterwegs, mit einer Reinke 12-Meter, die Uwe Müntz und seinem Bruder gemeinsam gehörte. Heute leben sie dauerhaft an Bord einer Contest 48 im Mittelmeer und können sich, bis auf weiteres, kein besseres Leben mehr vorstellen. Wie kam es dazu und wie ist es als Liveaboard wirklich?
Wann habt ihr zuerst gedacht, ganz an Bord zu ziehen?
Tatsächlich hat sich nach der Hälfte unserer Reisezeit, etwa Ende 2017, dieser Gedanke eingeschlichen. Allerdings haben wir uns damals nicht getraut diese Gedanken weiter zu spinnen. Eine mögliche Realisierung war so fern, so unrealistisch, zumindest für die nächsten fünf bis sieben Jahre.
Wann habt ihr es dann realisiert?
Das kam wiederum sehr überraschend. Nach nur wenigen Monaten nach unserer Rückkehr hat sich ergeben, dass mein Bruder anbot meine Hälfte an unserer gemeinsamen Tischlerei zu übernehmen. Ich denke er hatte Mitleid. Wir haben nach dem 16-monatigen Sabbatical unsere Füße nicht mehr so richtig auf die Erde bekommen, mehr in einer Scheinrealität gelebt. Dann aber konnten wir rasch auf Bootssuche gehen und wurden alsbald mithilfe der Contest-Brokerage in Barcelona fündig. Im Juni 2019 waren wir Eigner einer hübschen, 15 Jahre alten Contest 48 CS. Und wie das Leben so spielt, war das Boot dann knapp zwei Meter länger als geplant. Direkt proportional dazu verhielt sich das Überschreiten unseres geplanten Budgets. Im Februar 2020 war alles so weit vorbereitet: Im April wollten wir aufs Boot ziehen. Wegen der Corona-Pandemie konnten wir das dann allerdings erst im Juli.
„Corona-Pause“ vor Menorca
Wie konntet ihr das finanzieren – den Schiffskauf und nun das Leben an Bord?
Das habe ich mich in den letzten 20 Jahren auch immer gefragt, wenn ich Leute traf, die auf Booten zu Hause waren. In unserem Fall kamen die Verkäufe meiner Firmenanteile, einer Beteiligung an einem Mehrfamilienhaus sowie die Auszahlung meiner Altersvorsorge zusammen. Das reichte fürs Schiff, die nötigen Umbauten und Ergänzungen sowie als Polster für ein paar Jahre.
Wonach habt ihr das Schiff ausgesucht?
Nach den Erfahrungen während der Reise mit der Reinke 12M kristallisierten sich, abgesehen von akzeptablem Zustand, folgende Anforderungen heraus:
- Mittelcockpit, wegen des guten Schutzes und der großen Achterkabine
- Möglichst mit Deckshaus
- Gemäßigter Langkieler mit Welle und skeggehängtem Ruder
- Voll isolierter Rumpf
- 3 Kabinenversion, außer der Eignerkabine eine Gästekabine sowie eine als Vorratskammer und „Keller“
- Ich muss erwähnen, dass ich 2 Meter lang bin. Insofern entsprechende Standhöhe, Bettlänge, Länge Lotsenkoje und Duchten
- Kräftige Maschine
Also wir haben schon sehr nach Skandinavien und Holland geschaut.
Gab es Bedenken, wenn ja welche?
Nach den 16 Monaten zu zweit wussten wir schon recht genau, worauf wir uns einlassen. Insofern gab es keine ernsthaften Bedenken. Höchstens, dass das Vertraut machen mit der im Boot verbauten Technik noch einige Geduld und Zeit beanspruchen wird. Unerlässlich für die unvermeidliche Fehlerfindung und -behebung und das sichere Gefühl unterwegs.
Wann und wo habt ihr das Schiff gekauft?
Wie oben erwähnt, gekauft Juni 2019 in Barcelona.
Haben sich eure Erwartungen an das Schiff erfüllt?
Mehr als das. Wir lieben es jeden Tag, danken den Göttern, dass sie uns zusammengeführt haben und wüssten keines, mit dem wir tauschen würden.
Wie ist das Mittelmeer für Liveaboards?
Perfekt. Ursprünglich wollten wir gleich wieder in den Atlantik. Corona hat so manche Pläne vereitelt. In diesem Fall hat es uns ans Mittelmeer gefesselt. Und das ist einfach ein großartiges Gesamtpaket: klimatisch, landschaftlich, kulinarisch, kulturell, geschichtlich. Deutschland – und damit Familie und Freunde – ist von überall einfach zu erreichen. Und sicher und einigermaßen berechenbar ist es außerdem.
Anke spleißt die Reling…. …und Uwe backt das Brot!
Macht ihr euch viele Gedanken um den Klimawandel, der ja vielleicht gerade im Mittelmeer zu spüren ist oder sein wird – Hitze, Dürre, Stürme?
Natürlich wird man damit konfrontiert. Dass es uns Warmduschern erst einmal entgegen kommt, dass das Badewasser auch im November schön warm ist., ist ein sehr trügerischer Vorzug.
Die Einheimischen schütteln auch überall die Köpfe und man hört ständig: das haben wir noch nie erlebt, solche Trockenperioden, viele plötzliche Stürme, auch im Sommer, oder so hochsommerliche Oktober, November. Cornells Atlas der Ozeane kann man getrost vergessen. Die herkömmlichen Gleichgewichte sind gestört, auch hinsichtlich der Unterwasserflora und-fauna. Und obendrauf kommen die Verschmutzungen, vor allem mit Kunststoffen / Mikroplastik. Das macht schon sehr betroffen und man fragt sich, ob oder was man selbst dagegen tun kann.
Trefft ihr unterwegs viele Gleichgesinnte?
Nein, nicht viele.
Ergeben sich Kontakte an Land, oder eher zu anderen SeglerInnen, oder eher wenig?
Wir haben einen sehr großen Freundeskreis, den man mit ein wenig Bemühen dank moderner Kommunikationsmittel auch aus der Ferne pflegen kann. Für Deutschlandbesuche wird zur Freundespflege immer ein Terminkalender erstellt, um die Zeit dort möglichst gut zu nutzen.
Natürlich entstehen unterwegs auch Seglerfreundschaften, aus aller Herren Länder. Und es bleiben auch einige über lange Zeiträume erhalten, werden regelmäßig gepflegt und es auch gegenseitige Besuche.
Das Schönste am Leben an Bord?
Ein ungeahntes Maß an Freiheit. Einfachheit und Reduktion in vielem. Das Leben an frischer Luft, mit den Elementen, in der Natur. Ruhe und Langsamkeit. Der hektischen und zuweilen aggressiven Alltagswelt entrückt zu sein. Die Farben des Wassers und die Sternennächte.
Kleine Arbeitspause…
Das weniger Schöne am Leben an Bord?
Für mich eigentlich nur, dass das Bordleben auch auf 48 Fuß Bootslänge regelmäßig zu blauen Flecken und Beulen führt. Und eine ständige Wachsamkeit bezüglich ungewohnter Geräusche, Bewegungen, Gerüche. Weil auf Booten eigentlich immer irgendetwas ist.
Könnt ihr euch vorstellen wieder an Land zu leben?
Derzeit nicht.
Habt ihr eine feste Zeitspanne für das Leben an Bord geplant?
Nein. Wir hören auf, wenn es gesundheitlich nicht mehr geht, wir keine Lust mehr aufs Vagabundieren haben oder das Geld alle ist.
Ankern in Lavezzi
Welches sind seglerische Ziele, die ihr noch ansteuern wollt? Oder gerne würdet, wenn…?
Ursprünglich wollten wir unbedingt in die Südsee. Lange und weit weg. Aber familiäre Situationen mit Eltern, Kindern, Enkeln ändern sich permanent, und wir denken, wir müssen irgendwie in absehbarer Zeit nach Hause kommen können. Dazu kommt, dass wir wieder mal Vorurteile, in diesem Fall übers Mittelmeer, über Bord werfen mussten. Wie gesagt, unterdessen lieben und schätzen wir den Mittelmeerraum sehr. Möglich, dass wir es nie mehr verlassen. Es sind ja nicht nur Spanien, Italien, Griechenland, Kroatien, Türkei. Der arabische Raum, Israel, Ägypten, Nordafrika… Alles hoch interessant.
Aber einmal noch nach Norden, besser, noch mehrmals. Island, Grönland und Färöer. Und die norwegische Küste komplett. Und einmal Ostsee Rund! In diese wundervollen Reviere mit den leider so kurzen Saisons.
Haha, ich glaube wir brauchen ein zweites Boot, das im Norden bleibt. Und ein zweites Leben.
Mehr von den beiden in diesem Gespräch hier auf Literaturboot!