Es ist wie eine gehaltvolle Plauderei bei Austern und Muscadet, so schön kann ein Buch sein. Obwohl, wieso heißt es im Titel „meine“ Île-de-Ré ? Seine? Oder deren, die der Rétianer? Oder vielleicht auch sogar, ein wenig, meine? Ich war nicht oft und nicht lange genug dort, um so besitzergreifend davon zu sprechen, aber verliebt habe ich mich umso heftiger, vor allem eines Abends in dem zauberhaften Restaurant auf der Pier von Saint-Martin, mit jeder Flasche Rosé ein Stück mehr, in die Insel und in die … aber darum geht es hier nicht.
Hohe Erwartungen
Dieses Buch, also. Meine Erwartungen waren hoch, immerhin geht es um eine meiner liebsten Inseln, und ich kenne viele, die so im weiten Meer verstreut herum dümpeln. Geschrieben wurde es von einem Kulturpreis-ausgezeichneten Autor, der noch dazu der „Frankfurter Schule“ entstammt, deren Vertreter ich wiederum als einstiger Abonnent und Fan des endgültigen Satiremagazins Titanic besonders bewundere. Bernd Eilert war ja sogar einer der Mitbegründer der Titanic. Und noch dazu Gagschreiber und Drehbuchautor für Otto Waalkes. Und so einer schreibt jetzt über die Île-de-Ré – was für eine Kombination!
Sylt kann nicht mithalten…
Hier kommt gleich die erste Erkenntnis aus der Lektüre: Sylt kann mit der Île-de-Ré nicht mithalten, natürlich nicht. Schon aus historischen Gründen. Bernd Eilert nimmt bei seinen Betrachtungen über die Île-de-Ré gerne auch mal historische Ausflüge auf sich, die allesamt interessant und mal mehr und mal weniger amüsant sind. Hier, so der Eindruck, hat sich schon immer viel abgespielt. Während auf Sylt in grauer Vorzeit vermutlich höchstens ein paar versprengte Friesen in den Dünen hausten. Außerdem, so Eilert: „Der feine Unterschied zwischen diesen beiden Inseln entspricht, was die finanziellen Verhältnisse der Feriengäste betrifft, ungefähr dem zwischen Sylt und Föhr, wobei die Île-de-Ré wiederum im Vergleich zu Sylt mit seinen vielen Bausünden einen geradezu paradiesischen Eindruck macht.“
Paradies? Echt?
Wobei, das mit dem Paradies ist ja immer so eine Sache. Eilert bleibt jedoch dabei und wird sogar ganz lyrisch: „Vor allem gegen Abend, wenn der Sonnenschein milchig geworden ist und angenehm warm über die Haut rieselt, die Luft nach Salz und Holzfeuer riecht und die Vögel sich langsam zur Ruhe begeben, an einem solchen Abend, wenn der brave Franzose noch am Esstisch sitzt, mit dem Rad über diese Insel zu fahren, mit kurzen Hosen und wehendem Hemdschoß, versteht sich, das kommt meiner Vorstellung vom Paradies jedenfalls bedenklich nahe.“
Weil es so schön ist, und so einfach für mich, zitiere ich gleich weiter: „Der biblische Vergleich hinkt natürlich, denn ein Garten Eden ist die Insel nicht. Eher eine Zwischenwelt aus Wasser und Land, die noch nicht deutlich voneinander geschieden wurden. … Auch in den Salzgärten spiegelt sich der weite Himmel, und wenn sich kurz nach Sonnenuntergang die Wolken im Westen rötlich färben, scheint die Erde noch einmal zu erglühen, bevor graue Dunstschleier die Nacht ankündigen. Hätte ich die leiseste Neigung, fromm zu werden – an einem solchen Abend im Juni wäre ich gefährdet. Und bevor ich die weltliche Alternative in Betracht ziehe und Lyriker werde, erinnere ich mich rechtzeitig an die warnenden Verse Heinrich Heines:
Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.
Mein Fräulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.
So radle ich lieber im Zwielicht heimwärts und tue gar nichts – außer einen langen Schatten zu werfen.“
Schatten werfen
Schatten werfen: Meine Sportart. Diesen aus der Titanic geklauten Gag hier zu erwähnen konnte ich mir nicht verkneifen. Aber apropos lange Schatten: Es gab auf dieser friedlichen Insel durchaus auch anarchistische Umtriebigkeiten, sowie viele schöne Verbindungen zu Literatur und Film, die Bernd Eilert mit offensichtlicher Lust erzählt. Immer durchsetzt mit Beobachtungen wie beispielsweise dieser: „Es gibt verschiedene Arten, andere zu blenden. An den Stränden der Île-de-Ré gilt Körperkult als ordinär, der Durchtrainierte wird kaum bewundernde Blicke auf sich ziehen, falls er so geschmacklos ist, seine Muskulatur zu entblößen. Sixpacks sieht man allenfalls auf gerunzelten Stirnen, Silikon findet man in Badezimmern, nicht unter Bikinioberteilen.“
Megayachtfreier Hafen!
Und da wäre noch etwas, was mir an der Insel so besonders gut gefällt: „Luxusjachten passen nicht in die kleinen Häfen der Île-de-Ré, auch mit großen Autos kann man auf den engen Straßen nicht gut angeben. Während Sylt alljährlich zum traditionellen Rolls Royce Come Together einlädt, gilt auf Ré schon eine Fête de la Sardine – gemeinsames Sardinenessen – als Top Event. Understatement ist angesagt. Daher finden auf der Insel auch Privatflugzeuge keinen Landeplatz.“ Dafür gibt es in der mittelalterlichen Kirche von Sainte-Catherine de Loix dies: „Attraktionen im Kirchenschiff sind die Modelle zweier Segelboote; eines, ein Dreimaster mit gut vierzig Kanonen unter Deck, befuhr um 1800 die Weltmeere, das andere ist eine Jacht, die im August 1979 einem Orkan entkommen konnte. Beim Fastnet Race vor der irischen Küste hat dieser Sturm neunzehn Teilnehmer das Leben gekostet; das Ex Voto der Tikocco zeugt von der Dankbarkeit der Überlebenden.“ Als einer der Überleben des Fastnet Race 1979 teile ich diese Dankbarkeit aus vollem Herzen…
Gute Laune!
Was bleibt mir noch zu sagen? Dieses Buch zu lesen macht einfach gute Laune. Und wenn man noch kein Fan der Insel ist, dann wird man spätestens nach der Lektüre zu einem. Und wird sich dann vielleicht bald unter die wenigen und von Eilert daher so genannten „frei laufenden Touristen“ mischen.