Anne von Canal: Whiteout

Plötzlich ist der Horizont weg. Weißes Rauschen erfüllt die Luft, oben wie unten, es gibt keine sichtbaren Fixpunkte mehr, man ist Orientierungslos: White out. Und plötzlich ist ein Mensch weg. Einfach so, ohne Grund, ohne Worte: Wipe out.

Um diese Phänomene, Erfahrungen geht es hier, in Anne von Canals zweitem Roman. Es geht um die Forscherin, Glaziologin, Hanna. Und um ihre Vergangenheit. Mit vier Kollegen ist sie, als Leiterin der Expedition, in der Antarktis stationiert. Mitten im Nichts, in einer schier endlosen Eiswüste bohren die fünf tief, tief in das antarktische Eis, erhoffen sich daraus wissenschaftliche Erkenntnisse über die Vergangenheit. Und ohne es zu wollen, angestoßen durch eine E-Mail von ihrem Bruder, bohrt Hanna nun auch in ihrer eigenen Vergangenheit. Die ja glücklich war, bis ihre Freundin, und die ihres Bruders, einfach verschwand. Für immer. Ohne jemals wieder mit Hanna zu sprechen. Das lässt sie nicht los, tief innen arbeitet es in ihr. Und nun ist eben diese Freundin tot. Warum? Sie waren ein glückliches Trio, auch für die Antarktis hatten sie geschwärmt, immer wieder ein Hörspiel über den tödlichen Wettlauf von Scott und Amundsen zum Südpol gehört und endlose Male nachgespielt, doch nur Hanna war nun tatsächlich hier, in der wüsten, Menschen- und Lebensfeindlichen Welt der Antarktis.

So manche Metaphern bieten sich in dieser Konstellation geradezu an, doch Anne von Canal ist eine zu gute, zu feinfühlige Autorin, um in die Falle der Plattheiten zu gehen. Sprachlich geschliffen und menschlich dramatisch geht es in durch diesen spannenden, packenden Roman. Dass es so sehr in Hanna arbeitet, kann eben auch der Gruppe in der Antarktis nicht verborgen bleiben, im Gegenteil. Die fünf arbeiten unter extremen Bedingungen, auf engem Raum miteinander und sich auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen. Eine gewisse psychische Stabilität wäre da eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen des gemeinsamen Projektes, ja, sogar zum Überleben. Doch damit ist es bei Hanna bald nicht mehr weit her. Denn hier kann sie sich ihren Erinnerungen, den offenen Fragen und daraus resultierenden Gedanken nicht mehr entziehen, kann das Thema nicht einfach mehr verdrängen…

Schön erzählt, nachdenklich stimmend, sehr lesenswert. Das ist dieses zweite Buch von ihr, für das Anne von Canal tatsächlich im Eis recherchierte – allerdings in der Arktis. Immerhin, man merkt auch dies dem Text an, dass nämlich die Beschreibungen der Natur aus erster Hand stammen. Und die Menschen, ihre Figuren, kennt und beschreibt sie, wie auch schon in „Der Grund“, einfach perfekt.

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