Gerhard Waldherr: Inselstolz

Zwischen Strandkorb und Sturmflut – 25 Leben in der Nordsee. „Jetzt steht fest: Es wird hier keinen weiteren Winter für mich geben.“ Profisurfer Bernd Flessner hat nach vielen Jahren mal wieder einen Winter auf seiner Heimatinsel verbracht. Sein Urteil ist vernichtend. „In diesem grässlichen Norderneyer Winter wurde ich die Grippe wochenlang nicht los.“ Auch allgemein widerlegt der weit gereiste Insulaner so manches verklärte Klischee. „Inselleben ist hart, manchmal fühle ich mich wie am Rande der Gesellschaft.“

Mit sieben Protagonisten von den Ostfriesischen Inseln startet „Inselstolz“ eher düster. Flessners bittere Abrechnung („Ich wünsche mir, dass ich mich häufiger daran erinnere, welch ein Segen Norderney auch sein kann.“), Willi Jacobs Blick auf die Fischerei („Ich bin fast dankbar, dass mein Vater diese Entwicklung nicht mehr erleben musste.“) oder das Bedauern der Frisörin Uda Haars über den Ausverkauf der Insel Juist. Berichte über Nachbarschaftsstreitigkeiten, Rivalität, Neid und Missgunst lassen kurz die Frage aufkommen, warum sich Menschen das Inselleben vor der deutschen Küste eigentlich antun.

Nun, weil sie neben solchen – überall vorkommenden – Querelen die Besonderheit des Insellebens so schätzen. „Mir tun die Gäste leid, die zur Fähre müssen“, sagt etwa Christoph „Tüte“ Schmiegel, der aus dem ländlichen Westfalen nach Baltrum zog, hier das „Skipper´s Inn“ betreibt und sich seinen Traum erfüllt, „mit dem Meer zu leben“. Katja Just genießt nach wie vor die Entschleunigung und die unvergleichliche Stille auf der Hallig Hooge. Die Münchnerin ist stolz darauf, Teil der Inselbevölkerung geworden zu sein und gar die Inseltracht tragen zu dürfen.

Zwar verlassen Gudrun und Hermann Matthiesen nach 23 Jahren Ende September 2013 die Hallig Süderoog in Richtung Pellworm. Doch an ihr „Gefühl von Unabhängigkeit und absoluter Freiheit“ werden sich die einzigen Bewohner der Hallig zeitlebens erinnern. „Glasklarer Himmel, Blick bis zum Horizont, der Geruch von Watt und Meer.“ Bine Pöhner, Geschäftsführerin der „Dittmeyer´s Austern Compagnie“ auf Sylt, schwärmt von den Strandspaziergängen mit ihrem Hund. „Dann möchte ich mein Leben nicht anders haben.“ Für Wattführer Albertus Jansen Akkermann ist klar, was einen guten Wattführer ausmacht. „Er vermittelt den Zauber, den das Wattenmeer für ihn selbst ausstrahlt.“

Ja, das Leben nahe dran an der Natur, in der Abhängigkeit vom ständigen Wechsel von Ebbe und Flut, mit Touristenmassen einerseits und dem Jeder-kennt-Jeden unter den Einheimischen auf den Inseln ist etwas Besonderes. Davon ist in 25 interessanten Lebensgeschichten zu lesen, die nicht nur von der heilen Welt berichten, die Touristen hier suchen. Eher von einer Hassliebe. Denn, wie weiß Wangerooges katholischer Priester Kurt Weigel: „Auf der Insel kommt alles raus, was drin ist.“

Ein hochwertig verarbeitetes Buch, das mit tollen Porträtfotos von Alexander Babic, lustigen Illustrationen von Daniela Garreton und farblich hervorgehobenen Begriffserklärungen am Textrand zu überzeugen weiß. Empfehlenswert, auch wenn textlich nicht ganz die Klasse früherer Ankerherz-Titel erreicht wird. Hat sich doch der ein oder andere Fehler eingeschlichen und selbst über die Einteilung der Kapitel in Ostfriesische, Nordfriesische und Hochseeinseln könnte man streiten. Neuwerk ostfriesisch, aber Borkum eine Hochseeinsel?

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