Auf den Spuren der alten polynesischen Seefahrer in eine neue Zukunft: Die Reise der »Pacific Voyagers« liefert viele Ideen und Inspirationen. Nicht nur für die Bewohner der Südsee, denn deren Schicksal geht uns – irgendwann – alle an.
Für Janet L. Clark aus Hawaii war es ein berührendes Erlebnis. Die Ankunft von sieben polynesischen Doppelkanus, die über die Tuamotus und Marquesas hierher gesegelt waren. Sie beschreibt es so: »Was tust du mit einem vollkommen zufälligen Ereignis, welches dein Leben verändert? Nimmst du es mit ganzem Herzen an, oder drehst du dich um, gehst weg und verdrängst es? Eine Flotte von sieben polynesischen Reisekanus segelte am 24. Juni 2011 nach Kualoa, O’ahu, Hawaii, hinein. Ihre Besatzungen kamen aus verschiedenen Teilen des Südpazifiks – Aotearoa, Cook Inseln, Fiji, Tahiti, Samoa und einigen anderen Ländern. Sie brachten die Botschaft, den Ozean zu retten und unsere Welt, vor Verschmutzung und Ausbeutung. Sie segelten fort mit neuen Freundschaften und einem Versprechen, welches nie vergessen wird. Es sind die Pacific Voyagers.«
Dies ist der vorläufige Höhepunkt einer Renaissance der alten polynesischen Seefahrt, die hier in Hawaii, in der Mitte der Siebziger Jahre, ihren Anfang nahm. Damals segelte die Hokule’a (Stern der Fröhlichkeit), der originalgetreue Nachbau eines Doppelrumpfbootes, mit traditionellen Methoden der Navigation, ohne Seekarten oder moderne nautische Instrumente, die gut 2000 Seemeilen von Hawaii nach Tahiti. Es war der praktische Beweis, dass die Navigationsmethoden der alten polynesischen Seefahrer tatsächlich funktionieren. Und die Reise befeuerte alte Legenden von Seeleuten, die »die See zu lesen« vermochten, neu.
Das sind inspirierende Legenden und auch Janet Clark konnte sich ihrem Zauber nicht entziehen: »Von dem Moment an, wo ich zum Strand kam und die Kanus sah (die auch Wa’a oder Waka genannt werden), war ich verloren. Wer waren diese mutigen Leute, die so weit gesegelt waren, nur mit den Sternen als Wegweiser? Warum sind sie hier und was ist ihre Geschichte?«
Dies ist sie, ihre Geschichte, die in ihren Wurzeln drei- bis viertausend Jahre zurück reicht. Auf welchem Wege genau die polynesische Inselwelt im Pazifik, das so genannte »Polynesische Dreieck« zwischen Hawaii, Neuseeland und der Osterinsel, besiedelt wurde, ist unter Forschern und Wissenschaftlern bis heute umstritten. Unstrittig ist jedoch, dass dabei in jedem Fall weite Strecken über See zurückgelegt werden mussten – immerhin umfasst das Gebiet eine Meeresfläche von 50 Millionen Quadratkilometern.
Die hohe Kunst der Navigation
Die Seefahrt war für die Polynesier ebenso wichtig wie natürlich. Über See eroberten sie ihren Lebensraum, auf Inseln, die oft so klein waren, wie das gesamte Gebiet groß. Wann immer der Platz nicht mehr ausreichte, ging es auf zu neuen Ufern. Bootsbauer und Navigatoren genossen höchstes Ansehen in der Inselgesellschaft und die Heldentaten der Navigatoren wurden in Liedern besungen, weitergegeben und mehr und mehr mystifiziert.
Allerdings war die Navigation tatsächlich, im krassen Gegensatz zum Knöpfendrücken von heute, eine echte Kunst. Ein Navigator verstand die Seele der See, und er holte sich seine Information, wo er nur konnte. Die Wellen, die Strömungen, die Fische und der Flug der Vögel, der Wind und der Seetang und natürlich auch der Stand der Sterne und der Sonne: Alles das wusste er zu beobachten und zu deuten. Die Polynesier kannten an die 300 Sternenbilder auswendig, denn geschriebene Aufzeichnungen gab es ebenso wenig wie Deklinationstabellen oder ähnliches. Beim Entdecken einer neuen Insel musste sich der Navigator die Höhe der Sterne, die über der Insel standen, ebenso genau einprägen wie die Stellen am Horizont, an denen die Gestirne auf- und untergingen. Nur so konnte er später diese Insel wieder finden. Die Auf- und Untergangspositionen bekannter Sterne ersetzten den Kompass und die Kenntnis des Verlaufs der Sterne im Laufe einer Nacht, die nacheinander auf- oder untergehen, ermöglichte es, entlang einer Art Peilung zu segeln, die auf langer Erfahrung und Beobachtung basierten. Bei bedecktem Wetter gibt dagegen beispielsweise eine dominante Ozeandünung einen guten Richtungshinweis, flache Inseln können von weitem schon an einer stationären Wolke über dem Land erkannt werden, während eine kompakte Wolkendecke das helle grüne Wasser eines Atolls weithin sichtbar spiegelt. Andere Hinweise auf eine Insel hinter dem Horizont können auch reflektierte Wellen sein, die anders als die Ozeandünung verlaufen; oder Treibgut und Landvögel, die sich tagsüber auf der Suche nach Fisch bis zu 30 Meilen weit auf See hinauswagen.
Zusätzlich zum Wissen, welches sich die Navigatoren durch Training und Erfahrung angeeignet hatten und welches innerhalb einer Familie von Generation zu Generation weiter gegeben wurde, gab es auch ein Element der Intuition, jenseits von rationalen Beobachtungen. Insgesamt war es für die Polynesier überlebenswichtig, sich an Land ebenso wie auf See stets im Einklang mit der Natur zu befinden. Es ist eines der Ziele der Reise der Pacific Voyagers, dieses Bewusstsein wieder zu schaffen.
Die »Pacific Voyagers«
Sie segeln auf nachgebauten Doppelkanus eine epische Reise von insgesamt 20.000 Seemeilen hin und her über den Pazifik. »Es ist eine sehr spirituelle Reise für uns. Und eine starke Aussage und eine große Ehre unseren Vorvätern gegenüber!«, sagt einer der Teilnehmer. Die Katamarane sind jeweils 22 Meter lang und gehören damit zu den großen Reisekanus, die von den Polynesiern einst als Kriegsschiffe und für lange Reisen über See genutzt wurden – im friedlichen Verkehr, beispielsweise zum Besiedeln neuer Inseln, konnte solch ein Doppelkanu 25 bis 30 Menschen transportieren, dazu Reisevorräte, Werkzeuge, Saatgut, Pflanzen und Nutztiere. Wie auch bei den heutigen Pacific Voyagers wurden solche Reise meist in Gruppen von mehreren Booten durchgeführt, was natürlich die Sicherheit aller erhöhte.
»Heute geht es nicht mehr darum, neue Inseln zu entdecken«, schreibt die Ethnologin Ilka Kottmann in ihrem Blog auf der Webseite der Organisation Okeanos: »Motivation der heutigen Voyager ist es, wertvolles Wissen und Weisheit aus der Vergangenheit wieder zu beleben, um die Menschheit zu einem nachhaltigen Umgang mit ihren Ressourcen zu inspirieren. Die Ankunft in Hawaii markiert somit den Beginn einer neuen Ära der polynesischen Seefahrt. Die sieben zeitgenössischen polynesischen Segelschiffe machen auf wichtige Meeres- und Umweltthemen aufmerksam – im Pazifik und weltweit. Geführt durch die jahrhunderte alte Kunst der Sternennavigation, angetrieben durch den Wind mit Hilfe traditioneller und moderner Segelriggs, in der Lage mit solarbetriebenen Motoren in den Häfen zu navigieren, verkörpern diese zeitgenössischen Kanus eine eindrucksvolle Synthese des Besten, das die alte und die neue Welt zu bieten haben. Jetzige polynesische Seefahrer kombinieren Wissen, Weisheit und Technologien beider Welten. Ihre Reise durch den Pazifik ist ein Symbol, eine Inspiration für die Menschen auf diesem Planeten, unsere Ozeane und deren Bewohner zu respektieren, indem wir beginnen, wertvolles Wissen aus der Vergangenheit und der Gegenwart in die Praxis umsetzen.«
Die sieben traditionellen Kanus, Vaka Moana genannt, wurden in Aotearoa (Neuseeland) gebaut. Der einzige Motor an Board ist ein solarbetriebener, gespeist durch acht Sonnenpaneele auf jedem Boot. Sie treiben zwei kleine Elektromotoren und höchst effektive Propeller an, die beim Segeln aus dem Wasser gezogen werden um den Widerstand zu verringern.
Die Mannschaften auf den Vaka kommen aus dem ganzen Pazifik, es sind Menschen, die zu Hause auf ihrer Insel den Klimawandel mit eigenen Augen gesehen haben, es sind Menschen, die jeden Tag nach dem Wissen ihrer Vorfahren leben, Menschen die bereits für das Meer sorgen, indem sie für eine NGO arbeiten, Menschen, die Kinder erziehen und Menschen, die das Meer lieben. Diese Vaka sind eine Metapher für ein nachhaltiges Leben.
Die Vaka unternahmen in 2011 eine Reise von Aotearoa nach Hawaii und weiter zur Westküste der Vereinigten Staaten. Am 24. Januar 2012 sind sie erneut aus San Diego, USA, gestartet und segeln nun zurück über verschiedene Länder und Inseln wie zum Beispiel Mexico und die Galapagos Inseln bis zu den Salomon Inseln, wo sie im Juli eintreffen.
Die Stiftung Okeanos
Finanziert wird das Projekt von der Stiftung Okeanos. Gegründet wurde sie von Dieter Paulmann, aus einer tiefen Liebe und Begeisterung für das Meer und seine Bewohner heraus: »Als ich den Walen begegnete und ihre Schönheit und ihr Wesen sah, wuchsen aus der Begeisterung für das Meer Liebe und Respekt. Diese Verbindung zu den Tieren bedeutet auch Verantwortung. Doch erst als mich Ende 2005 eine kanadische Forscherin anrief und mir hilflos erzählte wie sich militärisches Sonar auf Wale auswirkt und dass es dafür keine Forschungsgelder gäbe, wurde mir bewusst, dass ich mehr tun musste. Je tiefer ich in das Thema eintauchte, desto mehr wurde mir der Zusammenhang zwischen einem intakten Meer und einer guten Welt für uns Menschen klar. Dieses empfindliche Gleichgewicht wollte ich erhalten. Zwei Jahre später war es soweit, die Okeanos – Stiftung für das Meer war geboren. Inzwischen sind wir ein kleines Team von Meeresbegeisterten, die an unseren Schwerpunkten arbeiten, um die faszinierende Unterwasserwelt zu schützen.«
Soweit Dieter Paulmann. Um auf die speziellen Probleme des Pazifik aufmerksam zu machen, die alle Menschen auf der Erde betreffen, hat er lange nach dem richtigen Weg gesucht. Die Suche danach war eine Reise für sich, bis er schließlich erfahrene und spirituelle Menschen traf, die den Spuren ihrer Vorfahren folgen und deren Weisheit und deren Respekt für das Meer wieder beleben: »Diese Menschen haben uns geholfen, unseren Weg zu finden, dem Meer zu helfen, indem wir ihnen helfen, das Wissen um die traditionelle Seefahrt ihrer Vorfahren weiter zu verbreiten, mit der diese vor tausenden von Jahren den Pazifik besiedelt haben. Dies beinhaltet auch das Wissen um die heilende spirituelle Kraft des Meeres, das Wissen um die Großzügigkeit des Meeres uns zu speisen, und um die unauflösliche Verbindung jedes Lebewesens zum Meer. Daher beinhaltet dieses kulturelle Wissen auch den Respekt für und die Liebe zum Meer, beides notwendige Eigenschaften, um mit dem Meer richtig umzugehen. Wir lernen immer noch jeden Tag von diesen Menschen über das Meer, und wir sind dankbar und fühlen uns geehrt.«
Aus westlicher Perspektive sind die sieben polynesischen Segelschiffe eine kraftvolle Metapher für einen nachhaltigen Lebensstil, die Verkörperung des geringst möglichen Eingriffes in die natürliche Balance des sie umgebenden Ozeans und deren Bewohner. Für die teilnehmenden Polynesier steht die umweltbezogene Nachricht dieser gemeinsamen Reise außerdem auf einem starken kulturellen Fundament. Zum Abschluss der langen Reise werden die Besatzungen der sieben Vakas am 11. »Festival of Pacific Arts« in den Solomon Inseln teilnehmen. Ein Dokumentarfilm wird über die Reise gedreht und die Boote werden im Verkehr zwischen den Inseln eingesetzt – angetrieben vom Wind und solarbetriebenen Motoren. So werden diese Reisekanus buchstäblich zum Vehikel für die Reise in eine nachhaltige Zukunft. Denn das ganz große Ziel dieser Initiative ist es auch, die pazifischen Inseln in der Zukunft unabhängig von fossilen Brennstoffen und dem teuren Import solcher Energien zu machen.
Dieter Paulmann, geboren 1940 in Königsberg, wuchs im Sauerland auf – weit weg von der See. Im Roten Meer begann er zu tauchen, noch als Student (Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften in Freiburg, 1962 bis 68), später kam das Segeln hinzu. 1969 war er der Gründer, Geschäftsführer und später auch Vorstandsvorsitzender der Zeitarbeitsfirma »DIS Deutscher Industrie Service«, die sich auf Personal im kaufmännischen Bereich spezialisiert hatte. Paulmann baute die Firma schnell und erfolgreich aus, 2002 bis 2006 war er Aufsichtsratsvorsitzender der AG. Außerdem ist er Gründer und langjähriger Vorsitzender des »BZA Bundesverband Zeitarbeit e.V.«, der Gütezeichen »Schutzgemeinschaft Zeitarbeit« und »Zukunftsvertrag Zeitarbeit«. 1980 kaufte er sich eine Jongert 19 und unternahm mit seiner Frau und den drei Kindern viele längere Segel- und Tauchreisen. 1989 bestellte er sich seine erste Ketsch bei Royal Huisman, knapp 30 Meter lang, schnell und vergleichsweise spartanisch: Von viel Technik an Bord für eine luxuriöse Einrichtung hielt er nichts, wichtiger waren ihm die Tauchkompressoren. Vor allem von Bord dieses Schiffes aus begann er ernsthaft, Wale zu beobachten, zu studieren, auch zu filmen und zu fotografieren. Und kam so zwangsläufig auf das Thema »Lärmverschmutzung der Meere«, unter der ja vor allem die Wale leiden – sie verlieren in dem Lärm durch Schiffsmotoren und Sonar die Orientierung, wenn sie stranden verenden sie elendig. Seit 2000 segelt er seine zweite Huisman-Yacht, entworfen von German Frers, diesmal knapp über 30 Meter lang und ausgerüstet für sehr lange Reisen und ein Leben an Bord. Mit diesem Schiff begleitet er auch Teile der Reise der Pacific Voyagers. Die von ihm gegründete und finanzierte »Okeanos – Stiftung für das Meer« fördert wissenschaftliche Projekte zum Schutz der Ozeane. Außerdem ist er noch Gründungsstifter und Vorstand des 2007 ins Leben gerufenen »Denkwerk Zukunft«.
www.okeanos-stiftung.org
www.denkwerkzukunft.de
www.pacificvoyagers.org