Was bedeutet mir eigentlich der Begriff Heimat? Was ist das für eine Idee? Diese Frage stellt sich mir nicht erst, seit ich wieder an Bord lebe, aber nun doch wieder mit konkreter Aktualität. Denn heimatlos zu sein, nicht zugehörig, das kann auch ganz beruhigend wirken. Im Sinne von nicht zugehörig zu dieser verrückten Welt, dieser Probleme, dieser Stadt, diesen Leuten – was auch immer einen gerade stört. Obwohl das natürlich eine Illusion ist. Aber an Bord fühle ich mich wirklich total losgelöst vom Getriebe der Welt, von allem, was gerade an Land passiert, zurückgezogen in meinem eigenen Universum.
Betrachter, statt Beteiligter. Am Rande, statt mittendrin. Ist das bequem? Kommt darauf an. Nämlich wie man sich trotzdem einbringt, mitdenkt, sorgt, kreiert. Gleichzeitig individuell zu sein als Mensch. Selbst zu gestalten, wie man lebt.
In L’Aber Ildut, Bretagne
Nicht zugehörig zu sein ist eigentlich nur dann schmerzhaft, wenn man nette Menschen erlebt, mit ihnen in Kontakt kommt oder sie auch nur betrachtet – und dann genau weiß: Ich gehöre nicht dazu. Immer ein Besucher, ein Außenseiter. Ganz egal, wovon.
Dafür gehöre ich mir selbst. In meiner ureigenen, selbst gewählten Art zu leben. Unstet und „un-gehörig“. Ich ruhe dann (meist) in mir selbst und eben in meiner Welt an Bord. Zuhause, in. meinem Tiny Space, welches mich über das Wasser trägt und Mobilität ermöglicht mit minimalem Fußabdruck. Und doch grenzenlos. Ozean oder Bucht, Natur oder Metropole, Nord oder Süd: Alles ist möglich.
Aber meine liebste Freundin sagt, ich solle doch auf meine alten Tage endlich mal sesshaft werden. Ein verlässliches soziales Netzwerk aufbauen, das macht glücklich und ist, wenn man alt und gebrechlich wird, enorm wichtig.
Das stimmt, zweifellos. Aber wo? An welchem Ort? In welchem Land?
Die Antwort ist unausweichlich. Solange ich mich nicht entscheiden kann, bleibe ich an Bord. Und nicht sesshaft. Denn das klingt mir dann doch zu sehr nach „Haft“. Dazu muss ich vielleicht erklären, dass ich quasi heimatlos aufgewachsen bin. Nicht familiär heimatlos, aber kulturell heimatlos, dennoch privilegiert und nicht zu vergleichen mit schweren, oft grausamen Flüchtlingsschicksalen, weder mit der Kriegsgeneration meiner Eltern, noch mit heutigen Migranten und flüchtenden vor aktuellen Kriegen. Als Nachkriegs-Geborener in Deutschland heimatlos zu sein, das war ja eher positiv. Raus aus dem bürgerlichen Muff der 50er und 60er Jahre, schon als Kind, nach London zunächst. Dann doch wieder zurück, in das Gymnasium nach Deutschland, aber das war dann schon Anfang der 1970er Jahre, noch ganz unter dem Eindruck und Einfluss der 68er Bewegung. Dann, nach bestandenem Abitur, als Matrose in die Karibik. Dann doch wieder Hamburg, Jahre später eine kürzere Zeit in Frankreich, schließlich wieder London und von dort endlich aufs Boot, der Beginn meines lang ersehnten Daseins als liveaboard. Und auch dann wieder mit viel Zeit in Frankreich und England, aber nun auch Spanien und Portugal.
Wird man, auf diese Weise, heimatlos? Nicht vertrieben, nicht geflüchtet, sondern aus der eigenen Biografie und aus eigenem Antrieb?
Kann schon sein. Ich wurde eher zum echten Europäer.









