Meine Leseentdeckung für diesen Sommer ist „The Journeying Moon“ von Ernle Bradford. Bereits in den 1950er Jahren erschienen, ist es heute immer noch, als Taschenbuch-Nachdruck, erhältlich. Um die Essenz dieses für mich wunderbaren Buches gleich vorweg zu nehmen: Es ist unrettbar romantisch, die Beschreibungen des Lebens an Bord, unterwegs und auch das der Menschen an Land in den 1950er Jahren sind wie Gemälde oder Gedichte. Sie zaubern und lassen eine Welt, vor allem im Mittelmeer, wieder lebendig werden, die es so schon lange nicht mehr gibt.
Dazu passt das Motto des Buches, ein Zitat des französischen Schriftstellers Charles Baudelaire (1821 bis 1867): „Les vrais voyageurs qui partent seulement pour partir.“ (Echte Reisende, die nur wegfahren, um wegzufahren.) Was allerdings leider so überhaupt nicht passt, ist das Titelbild der heute noch erhältlichen Ausgabe – das dort gezeigte, hässliche Schiff hat natürlich rein gar nichts mit den Inhalten im Buch gemein.
Ernle Bradford war ein englischer Segler, Historiker und Autor, der im Zweiten Weltkrieg in der Royal Navy im Mittelmeer diente und sich schon dabei schwor, eines Tages diese Küsten und Inseln mit dem eigenen Boot zu besuchen. Am Ende des Krieges wieder nach London zurückgekehrt, konnte oder wollte er sich dort nicht mehr zurechtfinden und machte sich schon 1951 auf, mit seiner Frau Janet und dem Boot „Mother Goose“, einem etwa neun Meter langen, holländischen Plattbodenschiff mit Gaffelrigg und Seitenschwertern. Es folgte eine teils abenteuerliche Reise nach Frankreich, dort durch die Kanäle über Paris bis ins Mittelmeer und schließlich, wieder auf See, bis nach Italien, Malta und Griechenland. Bemerkenswert auch, weil dies eben mit jenem Plattboden geschieht, das eigentlich eher für die niederländischen Binnengewässer und, höchstens, das Wattenmeer gebaut worden war. Schade, dass das Buch auf diesen Aspekt, der Seetüchtigkeit (oder eben auch nicht) eines solchen Bootstyps, nicht näher eingeht als mit dem, was man als Segelnder zwischen den Zeilen herauslesen kann.
Was hingegen ausgiebig geschildert wird, ist das damals noch ungewöhnliche, einfache, unkomplizierte und dennoch unglaublich reiche Leben an Bord und in einer Welt, die es so natürlich schon lange nicht mehr gibt. Das kann die Leser:innen, wie mich auch, durchaus mit schmerzlicher Melancholie und Sehnsucht erfüllen. Mich jedenfalls bestärkt es aber auch in dem Entschluss, selber weiter an Bord zu leben und zu reisen. Denn auch unsere Welt, wie wir sie heute kennen oder gekannt haben, wird es ja so bald nicht mehr geben. For better or worse, wer kann das schon sagen.
Eingerahmt ist das Buch vom Bericht einer Atlantiküberquerung. Es beginnt damit, springt dann Jahre zurück und endet schließlich wieder mit der Anfangs begonnen Atlantiktour. Warum der Autor diese Konstruktion gewählt hat ist mir nicht ganz klar, aber auch dieser Bericht liest sich sehr gut und ist vor allem ein anregendes Zeitdokument darüber, wie in den 1950er und 60er Jahren eben gesegelt wurde, auch auf See und quer über den Atlantik.
Leider ist das Buch nur auf Englisch erhältlich und niemals ins Deutsche übersetzt worden, aber die Sprache von Ernle Bradford ist Bildhaft und lebendig und daher auch für nicht-Briten leicht zu lesen. Hier ein Auszug aus dem Buch, wo Janet und Ernle mit ihrem Boot in Malta liegen und sich auf eine weitere Reise nach Griechenland vorbereiten:
“The new charts gleamed in the rack above my head, chart after chart, an expensive bundle exuding the clean, exciting smell of paper and print. I slid down a folder and opened it in front of me. There lay the whole bright Aegean: Poros and Seriphos, Delos and Cos, Santorin, Melos and Rhodes; their names like a lisp of water and their coastlines and small harbours as exciting as a spring morning. They held the promise of many coves and inlets, of marble gleaming on forgotten headlands, and small villages where there was no radio, and where the sea would slide up to the houses and the open doorways be caverns of coolness against the midday sun. In the rustle of turning charts I could hear the clamour of island waterfronts and smell fish-soup steaming in bowls on scrubbed wooden tables.”
Ein gutes Beispiel der Kraft seiner Beschreibungen von Stimmungen und Landschaften. Für alle, die keine große Mühe haben auch englisch zu lesen, kann ich dieses romantische Sehnsuchtsbuch nur wärmstens empfehlen!
Über die gemeinsamen Segelkreisen in Griechenland mit Janet hat Ernle Bradford noch ein weiteres Buch geschrieben, „The Wind Off The Island“, welches allerdings leider, wenn überhaupt, nur noch antiquarisch erhältlich ist.