Was haben wir hier? Ein Buch über Superyachten, diesmal aber – endlich einmal! – nicht die übliche, ebenso peinliche wie unterwürfige Bewunderung dieser Monströsitäten, sondern eine soziologisch-politische Einordnung in die heutige Welt: „Luxus und Stille im Kapitalozän“, so der Untertitel. Und setzt damit den Rahmen, nämlich des „Kapitalozän“, dem Zeitalter des zerstörenden Kapitalismus in dem wir heute leider leben. Dazu der Soziologe Jason Moore (Zitat aus Wikimannia.org): „Zwischen 1700 und 2008 hat sich das Kapital – trotz vieler zerstörerischer Kriege – um den Faktor 134 vermehrt. Im selben Zeitraum wuchs die Bevölkerung der Erde nur um den Faktor 10. Diese Zahlen zeigen, dass für die Dynamik der Erdtransformation vor allem der Prozess der Kapitalakkumulation verantwortlich ist. Das Anthropozän sollte also eher Kapitalozän heißen.“ Zu diesem Thema ist übrigens dieser Artikel in der Zeitung „Le Monde Diplomatique“ (auf Deutsch) besonders lesenswert: „Die Erde im Kapitalozän“.
Springen wir also gleich hinein ins Buch, ziemlich bissig, provokant und auch deshalb sehr unterhaltsam geschrieben von dem französische Soziologen und Politikwissenschaftler Grégory Salle. Zur Einleitung heißt es: „So belanglos »Superyachten« (eine schmeichelhafte Bezeichnung, die an sich schon ein symbolischer Gewaltstreich ist, gleich den sogenannten »Smartphones«, die nicht so »intelligent« sind, wie der Name nahelegt) auch erscheinen mögen, offenbaren sie doch eine bezeichnende Facette der Welt, in der wir leben, und das liegt nicht nur an ihrem exzessiven Charakter.“
Dann geht Salle daran, die Szene dieser „Superyachten“, die so super wahrhaftig nicht sind, genauer zu betrachten. An Anekdoten und schrägen Fakten spart er dabei nicht, erwähnt werden unter vielem anderen Duschen, aus denen wahlweise Wasser oder Champagner strömt. Oder diese kleine, vielsagende Geschichte:„Bereits Anfang Februar 2022 gab ein isoliertes und fälschlich als anekdotisch eingestuftes Ereignis Anlass zu Gerede. Offenbar plante die Stadtverwaltung von Rotterdam, eine denkmalgeschützte Brücke von 1927 (wenn man einen Vorgängerbau ein halbes Jahrhundert zuvor nicht mitrechnet) teilweise abzubauen, um Jeff Bezos’ neue Superyacht mit ihren imposanten drei Masten passieren zu lassen. Auch wenn es von offizieller Seite keine Bestätigung gab, lassen die verfügbaren Indizien doch vermuten, dass diese absurde Forderung akzeptiert worden wäre, und das von einem sozialdemokratischen Bürgermeister. Nach einer Renovierung im Jahre 2017 war noch verkündet worden, die Brücke müsse unantastbar bleiben. Um das Ganze aufzuhalten, bedurfte es einer digitalen gesellschaftlichen Mobilisierung. In den sozialen Medien hatten zahlreiche Bürger der Stadt angekündigt, die Yacht mit Eiern zu bewerfen. Der Streit wurde im Sommer 2022 endgültig beigelegt: Zuerst zog das Schiffsbauunternehmen seinen Antrag auf einen Abbau der Brücke zurück. In den frühen Morgenstunden des 2. August wurde die Yacht schließlich heimlich und ohne Segelmasten durch die Kanäle Rotterdams zu einer Werft auf der anderen Seite der Stadt geschleppt. Dennoch sagt diese Episode viel über die Macht aus, die unsere Gesellschaften dem materiellen Reichtum unberechtigterweise (in einer Mischung aus symbolischer Anerkennung und Einflussmöglichkeiten) einräumen.“
Anderswo schreibt Salle: „Der Humanökologe Andreas Malm räumt einen weiteren Zweifel aus, nicht nur auf ökonomischer, sondern auch auf ökologischer Ebene. Er greift die vor 30 Jahren vorgeschlagene Unterscheidung zwischen »Luxusemissionen« und »Subsistenzemissionen« (von Kohlendioxid) auf und zeigt, dass sie gegenwärtig nichts von ihrer Relevanz verloren hat, im Gegenteil. Vielmehr liefert Malm Gründe für die Annahme, dass die Luxusemissionen in der aktuellen Lage noch verabscheuungswürdiger sind und daher ein vorrangiges Ziel sein sollten. »Es handelt sich hierbei also um ein als ideales Leben angepriesenes Verbrechen«, erklärt er zusammenfassend in Bezug auf einen Konsum, der, um demonstrativ sein zu können, zugleich zerstörerisch ist. Übrigens finden sich nicht mehr nur in sozialwissenschaftlichen, sondern auch in naturwissenschaftlichen Fachzeitschriften Beiträge, die fordern, die durch die Lebensweise der Reichsten verursachten Schäden und ihre völlig übertriebene CO2-Bilanz vorrangig ins Visier zu nehmen. (Damit man eine ungefäh- re Vorstellung bekommt: Der durchschnittliche CO2- Ausstoß von Milliardären soll im Jahr 2018 8190 Tonnen pro Kopf betragen haben, weltweit lag er bei fünf Tonnen pro Kopf.) Den Schwerpunkt auf die Superyachten zu legen entschuldigt eindeutig nicht andere Formen ebenso massiver Umweltverschmutzung, angefangen bei der durch Kreuzfahrtschiffe und ihre Tausenden Passagiere verursachten. Vielmehr gibt es eine ganze Bandbreite von Praktiken im Arbeits- und Freizeitbereich, die es zu überdenken gilt.“
Laut einem Report des Magazins „Boat International“ wuchs die Superyachtbranche im Jahr 2022 zum dritten Mal in Folge beträchtlich: Ein Zuwachs von 24,7 Prozent wurde vermeldet. In diesem Zusammenhang also eine ebenso traurige wie alarmierende Tatsache! Die überdies auch noch den alten Grundsatz des globalisierten Kapitalismus bestätigt: Je schlechter es der Wirtschaft im Allgemeinen und den Normalverdienern im Besonderen geht, desto prächtiger verdienen Multimilliardäre.
Also ein umfassend spannendes Buch, in mancher Hinsicht wenig überraschend, an anderer Stelle durchaus erhellend. Nur ein Aspekt wird mir persönlich zu wenig beachtet: Die ästhetische Umweltverschmutzung durch diese immer größer werdenden Ausgeburten absoluter Geschmacklosigkeit, die unsere Häfen und Gewässer auch rein optisch so aufdringlich und unübersehbar besudeln.
Dies schreibt, abschließend, der Verlag (Suhrkamp) zum Buch: „Grégory Salle sieht in den riesigen Luxusschiffen den Schlüssel zum Verständnis des gegenwärtigen Kapitalismus. In seinem fulminanten Essay zeigt er, dass Superyachten nicht einfach Symbole des Exzesses sind. Vielmehr sind sie Symbole dafür, dass der Exzess zum Kennzeichen unseres Zeitalters geworden ist.“
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