Der alte Norweger

Das mit dem Wasser war eine merkwürdige Sache. So tief drinnen im Fjord war es kein Salzwasser mehr, aber es war auch kein klares Frischwasser, so, wie es gewesen wäre, wenn es von vielen Gebirgsbächen gespeist worden wäre. Eigentlich war es richtiges Brackwasser, aber sauber; obschon es an der Oberfläche etwas bräunlich war und mit zunehmender Tiefe schnell dunkel und schwarz wurde. Es war angenehm, darin zu schwimmen, weil man dabei endlich einmal keinen Salzgeschmack mehr im Mund hatte.

Dann schwamm ich ein paar Züge, träge und völlig entspannt, und hielt mich schließlich an der Ankerleine fest, während der Bug der Yacht hoch über mir in den tiefblauen Himmel ragte. Der Himmel war wirklich erstaunlich blau, obwohl es noch sehr früh am Morgen war und sehr still. Dann hörte ich ein leises Plätschern, und meine damalige Freundin war in das Wasser gekommen und ich beobachtete sie, wie sie an der Bordwand entlang schwamm; auf mich zu. Die Welt war ruhig und still, und ihre Augen waren glücklich. Wir hielten uns gemeinsam an der Ankerleine fest und küssten uns, und der Frieden war fast greifbar und drang in uns ein. Es war noch sehr früh am Morgen, denn wir waren von den Sonnenstrahlen geweckt worden, die durch das Vorluk zu uns geschickt worden waren. Sie wachte auf und lag neben mir, und ich wachte auf und lag neben ihr, und wir liebten uns und schliefen dann noch etwas, bevor wir in das Wasser kletterten.

Erst später, als wir aus dem Wasser herauskamen und uns im Cockpit mit einem dicken Handtuch abrubbelten, bemerkten wir den alten Mann. Er stand am Ufer, ziemlich hoch auf moosbewachsenen Felsen, aber noch vor den Bäumen, und sah auf unser kleines Schiff hinab. Er stand genauso da wie am vergangenen Abend, als wir gekommen waren, und er machte sich wohl so seine Gedanken. Irgendwo hinter den Fichten würde sein Haus liegen, und am Ufer war ein kleines Fischerboot an einem Pfahl vertäut, und eine Straße musste es dort oben auch geben. Wir hatten am vergangenen Abend ein oder zwei Mal ein vorbeifahrendes Auto gehört. Außer den Autos und unseren Stimmen und der großen Stille hatten wir noch einige Fische gehört, die nach Sonnenuntergang an die Oberfläche des Wassers sprangen, und plötzlich war der alte Mann dort oben auf den Felsen verschwunden.

Von den Fischern am Eingang des langen Fjordes hatten wie einen Fisch bekommen und an diesem Abend hier vor Anker bereitete sie ihn zu. Sie konnte ihn sehr geschickt ausnehmen und säubern und filetieren, und wir brieten ihn in der Pfanne mit viel Butter und Knoblauch und es war wunderbar und wir tranken halbwegs kalten Weißwein dazu. Die Flasche hatte ich an einem langen Band außenbords möglichst tief ins Wasser gehängt, damit er kalt wird und ich bewunderte meine damalige Freundin dafür, wie geschickt sie das mit dem Fisch machte. Das kannte ich von ihr noch gar nicht, aber zuhause, in ihrem Haus und ihrem Beruf, macht sie sowas auch nicht.

Jetzt am Morgen war der alte Norweger also wieder da und beobachtete uns, wie wir im Cockpit saßen und unser Frühstück aßen und Kaffee und Saft dazu tranken. „Warum bleiben wir nicht einfach hier“, sagte sie plötzlich und lachte, und ich sagte: „Ja klar, warum nicht“, und sie sagte zu mir: „Du, wir bleiben jetzt einfach hier, für immer!“ und wir lachten beide und fühlten uns einen Moment lang frei.

Dann sagte ich: „Wir bleiben eine Weile hier und dann segeln wir weiter. Irgendwohin. Wohin möchtest du?“, aber als ich das sagte, spürte sie wohl, dass ich es wirklich so meinte und ihr Gesicht wurde erst ernst, dann traurig. Ich wandte mich ab und sah über das stille, friedliche Wasser des Fjords und spürte einen Stich im Herzen, denn sie tat mir auf einem Mal leid. Aber ich sah auch ganz klar und deutlich mein Leben vor mir und dabei fühlte ich mich frei, nicht nur für einen kurzen Moment. Aber ich war dabei auch sehr traurig, wegen ihr. „Lass uns doch einfach weiter segeln“, sagte ich zu ihr und zum Fjord und zu mir, aber sie blieb ganz still und ich wusste ja schon, dass sie es nicht würde tun können.

Eine Weile später setzten wir die Segel und ich holte den Anker hoch, während der Wind ganz allmählich und leicht die Segel füllte und begann, das Boot auf den Ausgang des Fjordes und die offene See hinaus zu treiben. Als ich zurück blickte sah ich den alten Mann, der noch immer dort drüben am Ufer gestanden hatte, wie er sich umdrehte und zwischen den hohen Bäumen verschwand. Zurück blieb nur das stille Wasser und ein kleines, hölzernes Fischerboot, welches dicht beim felsigen Ufer an einem Pfahl vertäut war.

 

Auch diese kleine Geschichte ist ein Fundstück aus der tiefen Vergangenheit, ebenso wie die Geschichte „Irgendwohin, nach Norden“. Zuerst war diese Story  in einem Segelmagazin irgendwo erschienen und dann noch in einer Illustrierten, vor sehr vielen Jahren. 

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Detlef Jens – Hafenjahre, Leben an Bord
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