Wilfried Erdmann: Allein gegen den Wind

„Aber besser ist, etwas leicht Abwegiges zu tun, das zudem Substanz hat, als vorsichtig und traurig durchs Leben zu segeln. Schon immer war es das Besondere, das leicht Unangemessene, das mich fasziniert“, schreibt Wilfried Erdmann am Anfang seiner zweiten Nonstop-Solo-Welt-Umsegelung in sein Tagebuch.

Sein Vorhaben, allein und nonstop gegen die vorherrschenden Windrichtungen die Welt zu umrunden, kann getrost als leicht abwegig bezeichnet werden. Deshalb musste sich der 62-Jährige vor seinem Start am 14. August 2000 auch mehrfach Leichtsinn  vorwerfen lassen.

Gestartet ist er dennoch. Mit seiner relativ kleinen Kathena Nui, einer 10,60 Meter langen Slup. Und die mit 315 Tagen kalkulierte Fahrt beginnt problematisch. Bereits einen Tag nach dem Start in Cuxhaven kreuzt die Kathena Nui mit schlafendem Skipper durch das Verkehrstrennungsgebiet der Deutschen Bucht und wird von der Küstenwache aufgemischt. Die zweite Ölhose ist nicht zu finden, beim Vorsegelsetzen vergisst Erdmann die Fockschoten und beim Fotografieren den Film in der Kamera.

Zwar kehrt bald Bordroutine ein und der Solosegler schwärmt ins Tagebuch:  „Die See kann eine großartige Geliebte sein und Segeln mehr als Tuch hochreißen, trimmen, bergen, einzurren.“ Die geplante Reisedauer erweist sich jedoch schnell als zu kurz bemessen. Also wird ab Kap Hoorn der Proviant rationiert und bis zum Ende der Reise gehungert. Die vorherrschenden Wind- und Wellensysteme sind noch unkooperativer als vermutet. Tagelang kommt der Extremsegler nicht in der gewünschten Richtung voran. Kämpft gegen viele Stürme.

Am 100. Tag, nach tagelanger hoher See, schreibt er: „Mir tut alles weh. Alles. (…) Ich fühle mich wie in einer Waschmaschinentrommel im Waschsalon – also mit Aussicht.“ Zerrungen, blaue Flecken, eine gebrochene Rippe wird der Törn ihm bescheren. Dazu immer wieder kehrende Zweifel, die Erkenntnis, dass das der letzte Törn dieser Größenordnung ist, und ständigen Schlafmangel. „Trübsal. Innen und außen. Sinnfragen.“

Und unkontrollierte Gefühlsausbrüche. „In der Spüle poltert ein Topf. Das Geräusch passt nicht in meine Welt. Instinktiv greife ich nach einem Hammer und mache den Kochtopf nieder. Was ich primär brauche und mir mehr als alles andere helfen würde, sind ein paar Meilen geradeaus – bei trockenem Deck.“

Dieser Wunsch erfüllt sich erst ab dem Kap der guten Hoffnung dauerhafter. Traumhafte Etmale lassen den Segler den Rückweg bis Cuxhaven genießen. Und dann am 23. Juli, dem 343 Tag: „12.30 Uhr. Endlich. Auf der Motoryacht Christa, die mir entgegenkommt, Astrid und Kym.“ Sohn Kym sagt kurz darauf: „Dir gelingt aber auch alles.“

Mit „Allein gegen den Wind“ ist Wilfried Erdmann erneut  ein fesselndes Buch über das Fahrtensegeln gelungen. Meist wortwörtlich übernahm er die Einträge aus seinem Logtagebuch, in das er schreibt, wie er denkt: kurz, sprunghaft, manchmal abgehackt. Aber gerade der Verzicht auf gestelzte, hochtrabende Formulierungen und die schonungslose Offenheit  machen den Text sympathisch.

„Kein Mensch wird je erahnen, wie viel Muskelkraft und Kopfkraft es erfordert, gegen den Wind zu segeln“, ist sich Erdmann sicher. Um seine Strapazen ein wenig zu veranschaulichen rät er:  „Wenn Ihnen mein Text zu nass ist, legen Sie das Buch zur Seite – und gehen kalt duschen, dann haben Sie in etwa eine Vorstellung davon, wie ich mich an Deck gefühlt habe.“

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