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Abraham Ulrikab im Zoo

Ein kleines Buch mit großer Wirkung: Das ist dieses (traurige) Tagebuch eines Inuk aus dem Jahre 1880/81, der aus seiner Heimat in Labrador gemeinsam mit sieben anderen Inuit, darunter seiner Frau und seiner Kinder, nach Europa kam. Angeworben für die „Völkerschau“ des Hamburger Tierhändlers Carl Hagenbeck, um in verschiedenen Zoos zur Schau gestellt zu werden. Dieses Buch hält uns den Spiegel vor, wie wir, unsere Kultur in der wir unsere Wurzeln haben, die Welt sahen und immer noch sehen. Damals wie heute, ebenso einfach wie einleuchtend beschrieben im Vorwort von dem Inuit Künstler Alotook Ipellie. Er beschreibt wie ein inuker Schnitzer eine Tagung über die Kunst der Inuit im Jahre 1992 in Ontario erlebt: „Das Problem allerdings war, dass wir wie Ausstellungsgegenstände in einer Schaufenstervitrine herumsaßen. (…) Wir sind einfach nur wie ein Teil der Ausstellung. Sie behandeln uns wie Schnitzereien. Die Weißen scheinen nie wirklich daran interessiert zu sein, mit uns zu reden. Wir arbeiten hart, um mit unserer Kunst über die Runden zu kommen und niemand fragte uns, wie wir unsere Schnitzereien und Drucke anfertigen und welche Werkzeuge und Gegenstände wir benutzen.“ Wir sehen – seit der Zeit der übrigens schon damals umstrittenen „Völkerschauen“ des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts hat sich eigentlich nicht viel verändert.

Es geht hier also um das uralte Thema der Arroganz der Mächtigen, der vermeintlich „überlegenen“ gegenüber anderen Menschen, Tieren, Ideen, was auch immer. Kein Zufall, dass die Völkerschauen zur Hochzeit des Kolonialismus stattfanden. Angeblich sollten sie fremde Völker den Europäern näher bringen, tatsächlich bedienten sie nur die ohnehin schon vorhandenen Klischees und dienten vor allem dazu, durch eine erniedrigende Darstellung fremder Kulturen die Überlegenheit der Europäer gegenüber den „exotischen Wilden“ zu demonstrieren und die rassistische Haltung zu verfestigen.

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Plakat von Adolph Friedländer für eine Lappen-Völkerschau bei Carl Hagenbeck, 1893/94

Übrigens wurden solche „Völkerschauen“ damals nicht nur von Hagenbeck und nicht nur in Deutschland organisiert, sie fanden vielmehr in ganz Europa statt. Hagenbeck allerdings war wohl einer der erfolgreicheren Unternehmer in diesem Gewerbe und seine Truppe tourte denn auch durch Deutschland und bis nach Österreich und sogar Paris. Tatsächlich gab es auch damals schon, wenn wohl auch eher vereinzelt, kritische Stimme die fragten, ob man wirklich andere Menschen im Zoo ausstellen dürfe – und die auch das angebliche wissenschaftliche Interesse daran anzweifelten. Interessant ist die in diesem Buch zitierte Erwiderung auf eine solche Kritik, veröffentlicht von einem Rudolf Virchow in der „Zeitschrift für Ethnologie“, Berlin, 1880. Offenbar hatte die Magdeburger Zeitung gewagt, den Sinn und Zweck dieser Völkerschauen infrage zu stellen. Virchow schreibt dazu: „Wer das nicht begreifen kann, wessen Vorbereitung so gering ist, dass er nicht versteht, dass darin die wichtigsten und grössten Fragen, welche das Menschengeschlecht überhaupt aufwerfen kann, enthalten sind, wer glaubt, dass man einfach über solche Dinge zur Tagesordnung übergehen darf, der sollte am wenigsten Feuilletons schreiben. Zum Mindesten sollte eine Redaction sich zweimal bedenken, ehe sie solches Gerede in ihre Spalten aufnimmt.“ Und so weiter – auch darin hat sich nichts geändert, wir finden das gleiche Phänomen, wenn auch in primitiverer und verrohter Form, heute in vielen Internet-Auseinandersetzungen und Foren – wenn nämlich sachliche Argumente durch persönliche Diffamierungen und Beleidigungen ersetzt werden.

Da sich das Buch nicht nur auf den bloßen Abdruck des Tagesbuchs beschränkt, sondern dieses in viele Dokumente und Veröffentlichungen aus jener Zeit einbettet, kann man das Ganze dementsprechend gut einordnen und eben auch im Licht der damaligen Zeit betrachten. Dennoch bleibt vieles unbegreiflich. Die acht Inuit, die von dem Herrn Jacobsen im Auftrag von Hagenbeck angeworben wurden, ließen sich vor allem durch offensichtlich hohe Lohnversprechen locken. Die Familie des Tagebuchschreibers Abraham Ulrikab war zum Christentum bekehrt, lebte in einer Missionarsstation in Labrador. Und Abraham schuldete den Missionaren – warum?? – Geld, welches er unter seinen normalen Umständen in der Mission niemals hätte zurückzahlen können. So trieben ihn die Missionare quasi dem Menschenhändler in die Arme, wobei sie natürlich den Handel verteufeln, ihre Schäfchen nicht nach Europa gehen lassen wollen.

Nachdem dann alle acht Inuit in Europa nach monatelanger seelischer und körperlicher Qual an den Pocken elendig zugrunde gehen, weil sie hier noch nicht einmal eine anständige ärztliche Betreuung erfahren, setzen die Missionare in all ihrer Perversität noch eins obendrauf – obwohl sie den Tod der Inuit einerseits bedauern, finden sie andererseits doch, dass dadurch zumindest ein Exempel statuiert worden sei: Durch dieses traurige und abschreckende Beispiel würden wohl andere Inuit nun nicht mehr den Verlockungen der Hagenbeck-Anwerber folgen.

So regt dieses Buch zum Nachdenken an und wirft viele Fragen auf. Wozu brauchen wir beispielsweise noch Zoos, wo es doch so viele und wirklich tolle Dokumentationen über exotische Tiere gibt? Geht es um artgerechte Haltung? Die findet doch ausschließlich in freier Wildbahn statt. Allerdings wird das Habitat so vieler Tiere ja auch tagtäglich weiter zerstört. Auch das ist ein trauriges Fazit nicht nur, aber auch dieses Buches. Mit welcher Arroganz und Ignoranz die Welt, meine Welt und die aller schwachen Spezies, zerstört wird. Damals wie heute.

 

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Mehr lesen: Tina Uebel, „Nordwestpassage für 13 Arglose und einen Joghurt“.

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