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Silver. Rückkehr zur Schatzinsel

„Zum Einen starb meine Mutter unter den Schwierigkeiten, mich zur Welt zu bringen – und als hätte sie mir eine ihrer eigenen Charaktereigenschaften vererbt, erwuchs daraus meine Neigung, mich als jemanden zu verstehen, für den das ganze Leben eine einzige Schlacht ist.“

Wirklich zufrieden ist Jim Hawkins Junior nicht mit seinem Leben. Sein Vater Jim Senior lässt ihn im Wirtshaus „Hispaniola“ am Nordufer der Themse, nahe London, nach seiner Pfeife tanzen. Ablenkung von den immer gleichen Geschichten, die der Alte im Schankraum erzählt, findet der Sohn bei seinen Streifzügen durch die nebelverhangene Marschlandschaft der Umgebung. Die Erinnerungen des Vaters an seine Erlebnisse auf der Schatzinsel sind omnipräsent: Abenteuer auf hoher See, Mord, Rache, vergrabene Schätze.

Die gleichen Erinnerungen beschäftigen einen anderen Mann in wenigen Kilometern Entfernung. Long John Silver, alias Smut Barbecue, grübelt in London altersschwach über der von seiner Frau geführten Spelunke „Spyglass“ über das auf der Schatzinsel zurückgelassene Silber. Den Tod vor Augen schickt der Greis deshalb 1802 seine Tochter Natalie zu Jim Junior. Die Teens sollen die Schicksalsinsel ihrer Väter besuchen und den Schatz ins Königreich bringen.

Jim Junior ist hin- und hergerissen zwischen der Aussicht auf eigene Abenteuer und dem dafür notwendigen Verrat an seinem Vater, von dem er die Schatzkarte der Insel aus Billy Bones alter Seekiste stehlen müsste. Er entscheidet sich für die vermeintlich leichte Bergung des Silbers auf der Schatzinsel, auch, weil ihn Silvers Tochter Natty von Anfang an in seinen Bann zieht. Die Gefühle füreinander wachsen, als die Beiden schon bald auf dem von Long John Silver organisierten Baltimoreklipper Silver Nightingale in die Karibik segeln.

Der 1952 in London geborene Dichter, Romancier und Biograf Sir Andrew Motion hält sich in seiner Fortsetzung dicht am Original von Robert Louis Stevenson. Dessen Nachname trägt auch einer der Matrosen. An Deck der Nightingale findet sich eine Tonne mit Äpfeln, wie ehedem, als Jim Hawkins Senior in einer solchen sitzend Long John Silvers Pläne zur Meuterei belauschte. Jim Junior trifft auf den Neffen von Israel Hands. Wie sein Onkel überlebt er die Begegnung mit einem Hawkins nicht. Selbst im poetisch, altertümlichen Schreibstil, der Aufteilung des Buches in Teile („Die Versuchung“, „Die Reise“, „Die Insel“, „Nattys Geschichte“, „Das Nachspiel“ und „Der Schiffbruch“) mit jeweils mehreren Kapiteln wurde Bewährtes vom Klassiker übernommen.

Leider gönnt Motion uns in der durchaus spannenden Erzählung keine unerwarteten Wendungen. Okay, auf der Schatzinsel leben weit mehr Menschen, als die von den Schatzsuchern erwarteten drei Piraten, die einst zurückgelassen wurden. Daraus ergeben sich ganz eigene Abenteuer für Natty, Jim und die übrigen Besatzungsmitglieder der Nightingale. Diese nehmen jedoch einen Verlauf, der beim Lesen der Kapitelüberschriften meist schon vorhersehbar ist. So staunt der Leser eher über manches Verhalten der Protagonisten, das nicht wirklich nachvollziehbar ist. Warum behandeln etwa die sadistischen „Herrscher“ der Schatzinsel Natty überaus harmlos, als sie ihnen in die Hände fällt?

Dass dem Buch einige Seiten weniger gut getan hätten, denke ich bei der an eine „Flipper“-TV-Serienfolge erinnernde Rettung Jims vorm Ertrinken durch einen Seelöwen, den für die Handlung ebenso bedeutungslosen schnellen Tod von Jordan Hands oder das Ende der Geschichte.

Nein, dieser lesenswerten Ergänzung zum Klassiker „Die Schatzinsel“ von Robert Louis Stevenson gelingt es nicht gänzlich, aus dem Schatten des übermächtigen Vorbilds zu treten. Ein kurzweiliger, unterhaltsamer und spannender Piratenroman in gewohnt exzellenter Aufmachung ist „Silver“ aber allemal. „Die Welt wäre ein besserer Ort gewesen, wenn die Schatzinsel niemals gefunden worden wäre.“ Das können Liebhaber von Piratenromanen definitiv nicht unterschreiben.

 

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