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Wir müssen die Welt verändern

„Als Kind ging ich bis Ipanema, um die Fischer zu beobachten, die mit vollen Netzen zurückkehrten, die Frauen, die frühmorgens kamen, um frischen Fisch zu kaufen, der in den Netzen zappelte“, erinnert sich der Architekt Oscar Niemeyer kurz vor seinem Tode. „Was für ein Anblick! Das Meer hat mich stets geleitet: Ein Platz zum Wohnen muss für mich nahe am Meer liegen.“

Wohl kein zweiter Baumeister wurde derartig von der grandiosen Natur seiner Heimatstadt Rio de Janeiro geprägt wie Oscar Niemeyer, Brasiliens berühmter Architekt. In seinen Werken, so heißt es oft, spiegle sich die üppig-tropische Ambiente Rios ebenso wie die ausladenden Formen der Frauen. Seine Bauten sind das Werk eines Mannes, der vielleicht weniger Architekt als  Bildhauer war und Gebäude als Plastiken entwarf. Man denke nur an das kreisrunde, über dem Meer schwebende futuristische Museum für Moderne Kunst in Niteroi, ganz in der Nähe des Fischerdorfs Maricá, aus dem Niemeyers Großvater kommt.

In dem vor kurzem erschienenen Büchlein „Wir müssen die Welt verändern“ zieht Niemeyer im Alter von 104 Jahren ein Resumee seines Lebens, erinnert an Freunde und Wegbegleiter wie Le Corbusier, Sartre und Fidel Castro und erläutert sein Verständnis von Architektur als politische Aufgabe: „Hier in Rio zum Beispiel wohnt das Bürgertum am Meer, die Armen dagegen weit weg hinter den Bergen.“ Der Kommunist Niemeyer wollte solch räumliche Diskriminierung überwinden, wobei er der Auffassung war, dass  auch „nützliche“ Architektur keinesfalls hässlich sein musste: „Die Architektur ist nur ein Vorwand. Wichtig ist das Leben, wichtig ist der Mensch, dieses merkwürdige Wesen mit Seele und Gefühl, das nach Gerechtigkeit und Schönheit hungert.“

Aufgewachsen ist Niemeyer in einem im Kolonialstil erbauten Haus, umgeben von Palmen, Mango- und Jackfruchtbäumen, in Rios bürgerlichen Viertel Laranjeiras am Largo do Boticário, einem kleinen Platz von historischer Bdeutung. Der dortige Brunnen wird von einem Bächlein gespeist, das den Menschen Rios ihren Namen gab: „Carioca“. Zeitlebens blieb Niemeyer seiner Geburtsstadt verbunden, auch wenn er anderswo Aufträge annahm und wesentlich an der Planung der neuen Hauptstadt Brasília beteiligt war. Doch nur in Rio, in der Nachbarschaft zum Meer, konnte er seiner Fantasie freien Lauf lassen. So ist es kein Zufall, dass sich sein Büro jahrzehntelang im Dachgeschoss des Edificio Ypiranga befand, eines legendären Art Deco-Baus direkt gegenüber vom Copacabana-Strand, das wegen seiner markanten Rundungen im Volksmund lange „Mae West“ hieß.

Als Niemeyer aufgrund der Militärdiktatur in Brasilien Ende der 1960er Jahre für einige Jahre nach Paris ins Exil ging, hatte er bald schreckliches Heimweh – und das obwohl er in Frankreich „mit offenen Armen empfangen“ wurde. „Aber ich hielt es nicht aus, lange in der Fremde zu leben, weit weg vom Meer, von der Copacabana, denn ich kann nur am Meer leben. Mit saudade dachte ich an meine Freunde und die cariocas, die Bewohner meiner Heimatstadt Rio de Janeiro.“

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Weitere Literatur über Brasilien:

Dawid Danilo Bartelt: Copacabana

Stefan Zweig: Brasilien. Ein Land der Zukunft

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